WERKBANK

Auch hier ein paar Schmankerln, die zur Zeit auf der "Werkbank" liegen, ohne das es schon klar wäre wo es hin soll....
("Skizzen und Notizen" hieß früher so was wohl mal...)





Vortex



Scheißschimmelafghan!
Er hatte sich mit diesem Schwabenarsch doch zu freundlich abgegeben. Sie hatten gequatscht, kein Problem, hatten gesoffen, der andere etwas zurückhaltender als er, nun gut, er wollte sich verschwenden, warum auch nicht, so schön, wie wir in die Welt gekommen sind, so werden wir nicht gehen, sondern runzliger, sozusagen, hatten was geraucht, erst mal ganz normales Badisch Gras, angenehm, nix besonderes, dann kamen sie ins Labern, der Schwabensepp, mein Gott! aus Schwäbisch Hall, von ihm nur zärtlich "Hall" abgekürzt, hatte mit seiner defekten Kifferfestplatte verpeilt, daß er ihm die ganze rührselige Story schon mal vorgesetzt hatte, die Trennung von seiner Freundin, gut und schön, aber die Romanze dauerte ja schon lange genug, sie hatten sich kennen und lieben gelernt, da war "sie" süße Dreizehn, "wirkte aber schon ein gutes Stück älter", gut und schön, aber was sollte so'ne Kinderehe, klar, man entwickelte sich weiter, aber "als sie das erste Mal ganz miteinander geschlafen hatten" war sie, immerhin, schon vierzehn, er ein bißken älter als sie, na immerhin, trotzdem, alles sehr jung, damals, und überhaupt, und wer wollte sich wundern, daß es mal ne kleine Änderung im Plan gab, oder? Der Schwabenarsch war durch die Trennung total in die Krise geraten, die Braut, in die Jahre gekommen, hatte beschlossen ihre eigenen Wege zu gehen, konnte er ihr wirklich nicht verdenken, die Gute hatte Heiters Heim den Rücken gekehrt und zu neuen Ufern aufgebrochen... Schwabensepp war darüber in totale, absolute, existentielle Verzweiflung geraten und hatte sich, sein Aussehen und alles, ganz allgemein, total vernachlässigt. So richtig hatte er keine Illusionen mehr, die Reprise der ganzen Schote wunderte ihn nicht mehr, Kiffergedächtnisschwund, kein Wunder. Er war mehr so durch Zufall mithineingeraten, seine Kumpanen des Abends witterten noch Aussicht auf ein schönes Turnpiece, deswegen wollten sie Schwabenarsch die Aufwartung machen. Die Zeremonien waren sehr schleppend in Gang gekommen, er hatte sein gutes hausgemachtes Badisch Gras auspacken müssen, es war wie beim Pokern, jeder lauerte darauf, cool dem anderen seine Vorräte aus der Tasche zu leiern, keiner wollte sich die Blöße geben, vor lauter Gier den ersten Joint oder die erste Pfeife zu bauen. Stoff war knapp in jenen Tagen, genau wie Kaufkraft. Nun, ihm hatte die barmherzige Mutter Natur das Gute sozusagen bargeldlos in die Hände gespielt, deswegen mußte er mit seinem psychedelischen Suppengrün auch nicht sparsam umgehen. Wenn das Gerücht stimmte, daß sich die Fixer, wenn stofflos, nur um das Gefühl zu spüren, Wasser injizierten, da durfte man auch getrost seinen Vogelfutterhanf schmauchen. Als es aussah, als ob außer seinem zweifelhaften Suppengrün nix auf den Tisch kam, hatten sich die anderen Nasen aus dem Staub gemacht. Nur er war geblieben, schon etwas schwer, und: siehe da! Schwabensepp hatte doch noch etwas aus dem Zylinderhut gezaubert - ein saftiges Piece schönen weißstichigen Schimmelafghanen! HUHU! Der haute hart in die Lungen, alle Wetter! Dagegen war sein unfermentiertes, naturbelassenes Chlorophyl die reinste "Milde Sorte". Das kam schon ein bißchen heavy für die späte Stunde ... er war auf der Stelle umgekippt und hatte alle Viere an sich gezogen ... er fiel in einen Strudel, ein merkwürdiges schwarz - braunes Gebilde, es vibrierte, es zog ihn ein, der Wirbel erfasste ihn, er drehte sich rasend schnell um seine eigene Achse, so mußte es sich anfühlen, wenn man in einen Müllschlucker eingesogen wurde, rasende Geschwindigkeit, irres Gewirbel, fast hätte es ihn gelupft - Er fühlte sich durchgeschüttelt. Es war unterdessen empfindlich kalt geworden. Schwabenhans hatte ihn gepackt und ihm mit mehr oder weniger Gewalt eine Decke umgewickelt. Er schrak einen Augenblick von der irren Abfahrt durch den Wirbel hoch. Verstehen konnte er nichts. Instinktiv wickelte er sich fast gewalttätig in die dargebotene Decke. Schwabenhans dagegen plötzlich wieder quietschfidel. Er wuchtete seine fast zwei Meter von dem breiten Bett und tapperte zum Plattenspieler. Mit mehr Instinkt als Überlegung zog er eine abgenudelte Amon Düül II- Scheibe aus dem Stapel und schmiss sie auf den Plattenteller... der entstehende Lärm ging ihm schon komplett am Arsch vorbei, er war übergangslos abgedriftet und flog durch seinen bescheuerten Wirbel ... Wirbel ... Wirbel ... Wirbel ... Wirbel... Wieso ihm das gerade jetzt, auf dem Weg zu Willy einfiel wußte er nicht zu sagen. Bedurfte es tatsächlich äußerer Reize, um die guten alten Datenbanken im Hinterhirn zu stimulieren? Oder reichten da nicht die kleinen Schwankungen gering konzentrierter, aber wesentlicher Botenstoffe im Gehirn? Antworten auf Fragen wie diese würde es wohl nie geben. War ihm auch wurscht. Er wunderte sich nur, was aus den Karteikästen so aufgeblättert wurde. Er mußte grinsen. Sie hatten es also doch getan! Die Typen und manchmal auch ihre Bräute, standen immer gegenüber von Willy seiner Bude auf dem Grüngelände vor der einschlägigen Kirche. So'n Park mit großspuriger Bezeichnung und besten sozialen Absichten und so. Und weil man hier im Kaff nicht einfach 'rumstehen durfte und sich einen Wegschlucken und so - hatten sie da im Park so Tischchen, so typische kleine Metalltischchen, Aludesign, original wie im Eiscafè, hingebaut. So gab es die vollkommen neue Optik: hüben Willy seine Bude, Originalkiosk mitteleuropäischer Machart, die verkehrsberuhigte Straße. Natürlich in kinderschonendem Tempo - dreißig gehalten, dann die erste Reihe kränkelnder, mickriger Aleebäumchen, dann die freie gekieste Fläche, Trinkertreffpunkt seit dem frühen Pleistozäen, aber jetzt mußte man nicht mehr freihändig herumlungern, nee, jetzt konnte sich das an kleinen Stehtischchen abspielen, klasse Sache das. Ja ja, hier in der Town schätzte man eine gepflegte Kulisse, den schönen Vorschein und mochte nicht die eiskalte Klarheit nackter Tatsachen. Deswegen saufen, kein Problem, aber bitte mit Niveau. Und einigen schönen, seriösen Bühnenrequisiten. "Har Har, na, wie inne Eisdiele, wa - ...?" begrüßte er ein paar bekannte Nasen, die es sich schon an den schnieken Tischchen gemütlich gemacht hatten. Hatte er auf Anhieb identifiziert, die Figuren, die. "Praktisch, ja ja die fette Sau von Bürgermeister, die läßt uns nicht verkommen...!" Wieherndes Gelächter. In besseren Tagen waren ein paar von den Bummsnasen im politischen Widerstand gewesen. Deswegen wurden gesellschaftskritische Anmerkungen immer noch in einem bestimmten Jargon codiert. Scheißegal, inzwischen hatten sie alle das gleiche luzide Hobby. Durst, soweit die Kehle schmecken konnte... Er nahm ein paar Bestellungen entgegen und trollte sich gleich wieder über die kinderfreundliche Straße zur eigentlichen Bude. Auf den Schreck... Klar, Mann ... ein paar gepflegte Bierchen, das kam jetzt voll solider als der bescheuerte Schimmelafghan!



Kunst kommt von Können, nicht von Wollen



"Kunst kommt von Können, nicht von Wollen. Wäre es anders, hieße sie "Wunst"!


(Henry Nannen)



"Hach, Adi, 'bhalt halt deine Sockenhalter an, du weißt, das schärft mii total...!" keuchte Geli mit unterdrückter Lust. Sie stöhnte. Er hielt in seinen komplexen Entwurstelungen inne und beließ Socken und Halter an seinen Waden. Er schaffte es nicht, sich des Rests zur Gänze zu entledigen, seine Bekleidung schlapperte irgendwie um seine Storchenbeine. Hauptsache sein Gemächt konnte sich ungehindert entfalten. Sie war splitterfasernackt, immer Mittwochs stand sie ihm Modell. Dafür mußte das heruntergekommene Atelier kräftig beheizt werden, sie war empfindlich, was seinen schmalen Etat zusätzlich belastete. Er selbst bevorzugte die innere Heizung, das hieß den billigsten aus der Destille, was allerdings das Gemüt auch empfänglich für andere Reize als die reine Kunstausübung machte. Wie so oft war die Seance entgleist und die Musen hatten die Aktivitäten in gänzlich andere Bahnen geleitet. Längst hatte er seine Palette fallenlassen und drückte nun den molligen Körper seines jungen Modells auf das speckige, abgestoßene Kanapee auf dem sie für ihn posiert hatte. Er schnaubte brünstig und hatte inzwischen jede Kontrolle verloren. Keuchend entlud er sich in die warm-feuchte, schnappende Öffnung seiner Landsfrau. Phillisterseelen hätten bei dem relativ nahen Grad ihrer beiderseitigen Verwandtschaft eine Liebesverbindung als ausgeschlossen betrachtet, aber das deutsche Bürgertum und seine Sklavenmoral waren ihm zu überwindende Größen. Er wußte seine mädchenhafte Geliebte konnte auf landläufigem Wege nicht zur Ausgipfelung gelangen. Nun lag es an ihm seine heilige Pflicht zu tun. Vorsichtig zog er seinen Assistenten zurück und wartete einen Augenblick die sich schnell einstellende Erschlaffung ab. Mühsam und stöhnend rappelte er sich auf und trat einen Schritt zurück. Mit lang geübter Routine ergriff er seinen Zisemann und ließ einen kräftigen gelben Strahl auf Gesicht und Körper der Geliebten plätschern. "Ja...! Ja...! So muß es sein! Wie... wie im Stall!" schrie die junge Dame, Konvulsionen durchliefen ihr alabasterfarbenes, üppiges Fleisch. Sie wand sich auf dem abgeschabten Liegegerät, unartikulierte Laute entwanden sich ihrer Kehle. Der aufstrebende Künstler räusperte sich. "Geli ... schau a moal,- i hob no oan Termin!" Er blickte an sich hinab und kalkulierte den Aufwand, seinen derangierten Zustand wieder in einen präsentablen zu überführen. Einzelne gelbe Tropfen fielen, er machte geschickt kleine Trippelschritte, um seine Oberbekleidung vor der Penetration durch die unheilige Flüssigkeit zu bewahren. "So oa Professor vun doar Oakademie hat mir oane Sprechstunden bewilligt! Weißt schon - wegen döam Studienploatz an doar Kunschdhoschul. Große Hoffnung hab i nöd - weil, du ich glaub dös is wieda so a blöda Jud! Woaßt scho, so oa Entoarteter!" Geli war noch woanders, aber selbst wenn sie nicht gerade im Himmel erotischer Ekstasen schwebte interessierten sie die politischen Tiraden ihres Künstlergeliebten nicht im geringsten. Das war so Männerkram, der ihr völlig egal war und blieb. Gerne hätte ihr Freund sie auf seine strunzlangweiligen Versammlungen mitgeschleift, wo man viel Bier trank und sich völlig in Rage schrie, wenn er sie mit seinen Ausführungen behelligte, schaltete sie auf Durchzug. Manchmal bemerkte er es und wurde dann grob. Meist war es so absorbiert und wie trunken von seinen Philosophien und Theorien, daß er ihr völliges Desinteresse nicht wahrnahm. Der Künstler zog seine lange Unterhose nebst seiner guten Überhose, leider der einzigen die er besaß, an ihren Platz. Das weiße Hemd hatte er sowieso anbehalten, zum Glück hatte es nichts von der ausgetauschten Körpersäften abbekommen. Er nestelte nach einer passenden Krawatte und postierte sich vor dem Spiegel. Insgesamt hätte er sein Erscheinungsbild gerne noch etwas gediegener gehabt, aber im Augenblick war nicht mehr drin. Interessenten, das heißt, zahlungsfähige und insbesondere gar zahlungswillige, für seine Gemälde standen bei ihm nicht gerade Schlange. Seine gegenständlichen Gemälde mit Schäferhundportraits, Landschaften und zweifelhaft dekolletierten Hirtenmädchen schienen nicht dem Zeitgeschmack zu entsprechen. Er hatte den scharfen Verdacht, die Juden hätten da ihre Finger im Spiel. So den Menschen den gesunden Geschmack aberzogen und sie auf völlig entartete Schmierereien eingeschworen. Ein mulmiges Gefühl war in seiner Magengegend zu spüren. Dieser Professor da - wahrscheinlich auch so ein Fall. Völlig verjudet, sozusagen bis dorthinaus. Würde er keine Chance haben. Egal. Er mußte nach jedem Strohhalm greifen. Miete fällig und wieder keine Mark auf der Hosennaht. Ein Kunststipendium mußte her. Und wenn er das gesamte lausige Deutsche Reich dafür auf den Kopf stellen mußte. Schotter mußte in die Hütte! Er drehte sich vom Spiegel weg, zu Geli. "Tschau, Madel! I muß los!" raunzte er mißgelaunt. Die junge Schöne war jedoch eingenickt, nur ein unterdrücktes Schnarchen kam als Antwort. Er stürmte hinaus. In der Straßenbahn nervten ihn wie immer die vielen Ausländer, Proleten und rassisch minderwertigen Landsleute. "Aufräumen! Aufräumen! Alle Verschießen!" dachte er bei sich. Irritiert registrierte er die herumrückenden Köpfe, plötzlich waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Scheiße! Hatte er mal wieder laut gedacht! Superpeinlich! Wie gerne hätte er jetzt einen hohen Kragen besessen, um ihn vor das Gesicht ziehen zu können. Mit rotem Kopf stieg er an der Haltestelle vor der Kunstakademie aus. Leichtes Schneetreiben schlug ihm entgegen. Scheißwinter! Und er konnte sich keinen vernünftigen, schicken Wintermantel leisten! Er betrat den zyklopischen Bau. Er hatte keinerlei Plan, wo das Zimmer des betreffenden Hochschullehrers sein sollte. Nach einigem Suchen stieß er auf ein alkoholatmiges gedrungenes Individuum. Wohl so ein Hilfshausmeister oder so. Hier hatten sogar die Faktoten typische krumme Judennasen schoß ihm durch den Kopf. Typisch Scheißkunsthochschule! Er wollte schon ein von Herzen kommendes "Vergasen!" dem offensichtlichen Untermenschen entgegenzischen, besann sich aber. Ärger konnte er jetzt wirklich keinen gebrauchen. Umständlich bekam er den Weg geschildert. Halbherzig trottete er los. Zu seiner Überraschung war die Stimme, die ihn hereinbat, ungemein freundlich, ja warmherzig. Er traf auf einen edel gekleideten, weißhaarigen und weißbärtigen älteren Herrn. Irgendwie imponierte ihm dessen Auftreten, das eine ruhige, souveräne Selbstverständlichkeit und Ruhe ausstrahlte. Sie gaben sich die Hand, eigenartigerweise legte der Professor sogleich eine Hand auf seine Schulter und komplimentierte ihn so auf den Besucherstuhl vor seinem mächtigen Schreibtisch. Der Künstler blickte ihn erwartungsvoll an. Der Hochschullehrer lächelte mit einer gewissen freundlichen Begeisterung. Ein Moment Schweigen, sich gegenseitiges Mustern. Er wagte einen Anfang. "Ich habe mir erlaubt, ihnen meine Mappe zur Begutachtung vorzulegen..." begann er zögerlich. Im Umgang mit Deutschen bemühte er sich die Mundart seiner österreichischen Heimat zu vermeiden. Der Kunstlehrer deutete mit dem Zeigefinger in die Luft. "Und sie sagen, bis jetzt habe noch niemand ihr ungeheures Talent erkannt? Das ist unfaßbar! Ein Skandal!" Der ältere Herr sprang auf und begann aufgeregt auf und ab zu gehen. "Sie wissen ja, wieviel Stümper heute Farbe auf unschuldige Leinwände schmieren dürfen...!" Er machte eine kurze Pause und schneuzte sich die Nase. "Und da kommt ein Jahrhunderttalent wie sie und wird ignoriert? Ignoriert!" Dabei schlug er seine Faust heftig auf die Handinnenfläche. "In ihnen steckt das Zeug zu Großem! Zu ganz Großem!" Dem Gelobten brach der Schweiß aus. Ein eisiger Hauch strich ihm die Wirbelsäule entlang. Bei dem Namen - Professor Israel Süßkuchenitzighofer - hatte er mit allem gerechnet. Nur nicht damit. Aber er war der einzige gewesen, der überhaupt, nach einem ersten prüfenden Blick, seine Mappe zu einer weitergehenden Begutachtung einbehalten wollte. Ihm war klar, er lag nicht im Trend. Leider. Und nun das? Sein Leben lief wie ein rasender, zu schnell laufender Film vor seinem inneren Auge ab. Seine Anspannung drohte unerträglich zu werden. Einen Augenblick lang hatte er den seltsamen Drang, seinem Gegenüber ein "du dreckiges Judenschwein!" zu zu brüllen und sich auf ihn zu stürzen, ihn zu würgen, vielleicht sogar ein paar Schüsse aus dem kleinen, handlichen Revolver, den ein gewisser, ihm zugeneigter Parteigenosse ihm vor einigen Monaten verehrt hatte, direkt in sein Gesicht zu feuern und sich daran zu weiden, wie sich die physiologischen Strukturen auflösten, Gewebe an die Wände klatsche und er den Sterbenden brutal mißhandelte... Die Seifenblase zerbarst... hätte ihm noch vor einer Stunde jemand zu sagen gewagt, er würde sich von einer Judenkreatur auch nur mit den Fingerspitzen anfassen lassen, hätte er den Revolver gezogen. Aber nun lag der gesamte väterliche Arm des Hochschulgelehrten auf seinen Schultern und, merkwürdigerweise hatte er keinerlei Hemmungen sich dies einzugestehen, er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben geborgen, er empfand ein grenzenloses Vertrauen zu dem sehr viel älteren Kunstsachverständigen. Bewundernd und fasziniert sog er den Duft von dessen Herrenparfüm ein, ein Geruch, der ihn an Italien erinnerte, obwohl er noch nie dort gewesen war. Ein Gefühl. "Schau`n sie ... ein Stipendium ist natürlich das Mindeste für sie ... aber es kann natürlich nur ein erster Schritt sein ... als kleines Stück ausgleichender Gerechtigkeit kann ich sie mit einigen mir bekannten Sammlern bekannt machen ... einflußreichen Sammlern, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf ... wir müssen natürlich vorher sicher stellen, daß deren Geschmack getroffen wird ... aber da können sie sich ganz auf mich verlassen, sie müssen ihre Seele nicht dafür verkaufen ... das geht ganz reell zu ...!" Was sein Gegenüber sagte erschien ihm wie die große weite Welt. Was hatte ihm dieser Mann nicht alles voraus! Er empfand einen stillen Schauer, welchen bedeutenden Menschen war dieses weltgewandte Individuum schon begegnet, welche Größeren waren unter dessen unbestechlichen Augen schon zusammengeschmolzen wie ein vergessenes Pfund Butter in der Sonne! "Herr Hitler - sie können sich auf mich verlassen ... sie wissen, ich sage das aus eigenem Interesse, ich halte sie für ein Talent, für ein schmählich unterbewertetes, verkanntes Talent - all den modernistischen Tendenzen zum Trotz denke ich, das altmeisterliche Tafelbild, klassischer Tradition, lachen sie nicht, ich denke da an nichts geringeres als an das Tafelbild, seien wir nicht kleinlich, zum Beispiel bester Dürer'scher Tradition - wenn sie ihre Motive noch etwas entwickeln, wir wollen da nicht falsche Einschränkungen machen, wenn ein Dürer Hasen malt können sie mit ihren Schäferhunden allemal reüssieren, nur, ich denke - Motive - dann wirklich so klassisch wie ihre Technik, wie stehen sie zur Religion, eigentlich, kenne einen Domprobst, zufällig, der jemand sucht, der ohne große formale Experimente die Heilige Familie selbstdritt, das Motiv kennen sie natürlich ...", er nickte eilfertig, "verstehen sie, Geld ist kein Problem, der Handel geht nur darum, keine Experimente, alles im Stil der Vorväter - können sie mir folgen ...?" "Äh, nun ich denke, das deckt sich vollkommen mit meinen künstlerischen Intentionen...!" Professor Israel Süßkuchenitzighofer nickte befriedigt. "Machen sie eine kleine Skizze- Pastellkreide genügt einstweilen vollkommen, - ich werde schon mal in ihrem Sinne vorfühlen... ich darf wiederholen: hier ist auch ein bißchen Geld zu verdienen, selbst in diesen kargen Zeiten ,- und! bei Erfolg: das ist dann erst mal das Brot unter ihre Butter!" Der ältere Gelehrte zwinkerte ihm verschwörerisch zu. "Jetzt muß ich sie leider verabschieden ... muß in meine Aktklasse, wenn sie mich bitte entschuldigen ... ?" "Ob ... ob ich vielleicht ... vielleicht ... auch mal in ... in ihre Aktklasse ... dürfte ... ? "Aber natürlich! Für sie ohne Anmeldung! Immer Mittwoch siebzehn Uhr!" Ein äußerst warmherziger Händedruck verabschiedete den aufstrebenden, verkannten Künstler. Die schwere, wuchtige Eichentür fiel hinter ihm ins Schloß. Nun war er wieder ganz auf sich zurückgeworfen. Hoffen und Bangen. Unsicherheit. Sollte er sich in den Menschen mosaischen Glaubens beziehungsweise Abstammung getäuscht haben? Gab es etwa sogar unter diesen solche und solche? Und nicht nur Kannibalen, Frauenschänder und Ritualmörder? Sein Blick fiel auf eine altertümliche Wanduhr mit römischen Ziffern. Hmm ... wenn er noch einen kleinen Aufenthalt im "Bürgerbräukeller" einlegte, sozusagen ein verspäteter Frühschoppen, und dann eine Maß und ein Radi vor der Parteiveranstaltung im "Wiener Eck" in Schwabing, dann war die Zeit überbrückt und er konnte gleich in die Politik. Tief in Gedanken fuhr er erst mit der Elektrischen zum "Bürgerbräukeller", später, die paar Schritte zum "Wiener Eck" bewältigte er mühelos zu Fuß. Langsam trudelten seine Spezerln ein. Der Joseph, genannt "Joschka", der Hermann, "s'Manderl", der Heinrich, "s'Heinerl" und wie sie alle hießen. Und wie jeden Mittwoch, immer ein paar neue verhärmte, freudlose Gestalten... er ließ seine Blicke schweifen, seltsam, er hatte den Eindruck, sie verdankten ihre desolate Lage einzig und allein ihren sehr begrenzten Möglichkeiten und Fähigkeiten, keiner Weltverschwörung, keinen dunklen Mächte, allein ihrer Indolenz, Trägheit, Billigkeit... Komisch ... wenn er gegenüber sich selbst ausnahmsweise ehrlich war - eigentlich erschienen sie ihm ungeheuer vulgär, billig, niveaulos, keine Spur von Lebensart, von Grandezza. Er hatte vor lauter Aufregung vergessen, was eigentlich das Thema der heutigen Versammlung war. Während er aufgewühlt und lebenshungrig an seinem Maßkrug sückelte, hämmerte der erste Redner es ihm unaufgefordert in die Eingeweide. "Das Weltjudentum - der Weltfeind!" war die Überschrift der Veranstaltung. Dabei fiel ihm zum ersten Mal auf, das es eigentlich immer Thema ihrer Zusammenkünfte war. Heute erschien ihm das irgendwie unangenehm penetrant. Fast ein wenig krankhaft obsessiv. Was hatte ihm Professor Israel Süßkuchenitzighofer zum Abschied verschwörerisch ins Ohr geraunt? Der genannte Betrag in Reichsmark ließ ihm die Hosenbeine flattern. Nicht wie sonst seine chronischen, pathologischen Flatulenzen. Erstaunt bemerkte er, daß heute Abend zum ersten Mal seit seiner Spätpubertät sein Darm Ruhe gab. Er verlangte mit gedämpfter Stimme von Zensi, der drallen Serviererin, noch eine Maß. Schluß mit der Mäßigung! Er wollte Exzeß, er wollte sich verschwenden! Überhaupt ging ihm der ganze Scheiß hier schwer auf die Eier! Er wünschte sich in eine Opiumhöhle. Ob es hier in Schwabing wohl eine verschissene Opiumhöhle gab? Wen könnte man da wohl fragen? Zensi? Oder jemand vom Droschkenstand? Oder lieber der Zukunft zugewandt - nach Hause, ganz schnell, die versoffene Geli aus dem Bett schmeißen, ihr irgendeinen Fummel umhängen und als Jungfrau Maria posieren lassen? Trotz der paar Maß würde er immer noch eine erstklassige Pastellzeichnung hinkriegen, ohne Ölfarbe konnte ja auch nicht so viel verschmieren, und - und , soviel war ihm klar, er würde genau, aber ganz! genau! den Bogen hinkriegen, zwischen dem heilig-mäßigen von der Maria und den üppig-aparten-Rundungen von der Geli, denn das wollten die Katholen, das war ihm plötzlich klar - eine Heilige, aber bitteschön! unter der Bluse mußte schon was sein, das war schließlich nicht mehr die Prärenaissance! In Gedanken schwelgte er in klassischen Mariendarstellungen. Das Geteufel des Redners störte ihn etwas. Sogar ziemlich. Er mußte hier raus. Er konnte diesen Kleinbürgerdreck nicht mehr ertragen! Nach Italien! Nach Arkadien! Oder sonstwohin... seinetwegen sogar in irgendeine beschissene Avantgardistenbar... nur nicht mehr diese ungewaschenen, schlecht rasierten Kleinbürger und ihr aus terminaler Frustration geborenes Politikgehabe! Wie in Trance und schwer erschreckt entzifferte sein Unbewußtes die Worte "Wir begrüßen nun unseren Parteigenossen Hitler - er wird jetzt endgültig dem Weltjudentum die Larve von der Fratze reißen ... !" Der Mob johlte zustimmend. Er wollte sich diskret zum Ausgang verdrücken, fühlte sich jedoch gepackt und zu der kleinen, improvisierten Bühne hingeschoben. Es war ein Alptraum. Zum Glück hatte er instinktiv seinen Maßkrug gepackt und leerte ihn jetzt demonstrativ vor dem Publikum. Er schmiß ihn blindlings in den stumpfsinnigen Mob. Man registrierte diese Geste leicht irritiert, schob es aber auf sein Charisma. Er räusperte sich, rülpste vernehmlich. Jetzt hätte er sich gewünscht, genauso lautstark einen Darmwind entlassen zu können. Aber hinterwärts war die Front ruhig. "Es kann keine Gemeinschaft mehr geben - in der Kunst zählt nur noch der unbedingte Wille zum totalen Ausdruck - ich würde sogar soweit gehen, zu sagen ‚die Kunst braucht eine Operation!' - die Politik kann davon nur ein schwacher Abklatsch sein, - wenn etwas enden muß, dann ist es der deutsche Spießer! UND DAS HEIßT: SO LEBENDE HUNDEWÜRSTCHEN WIE IHR! NAZIS RAUS! DIE AUTOBAHN IST FÜR EKSTATIKER! SCHEIßE RUNTERSPÜLEN, SONST SCHLÜPFEN NAZIS AUS! EROTOMANEN:ICH ÜBEGEBE EUCH DIE WELT ZUM PLÜNDERN! TURN ON! TUNE IN! DROP OUT! UP AGAINST THE WALLS MOTHERFUCKERS!!!" Aus alter Gewohnheit hatte man ihm einen weiteren Maßkrug zum Befeuchten seiner Stimmbänder hingehalten. Ohne es bewußt zu registrieren hatte er ihn auf "Ex" geleert, war so entrückt ins schreien gekommen wie sonst auch, nur hatte ihm ein scheinbar ganz neuer Dämon die Stichworte eingegeben. Er hatte auch dieses schwere Trinkgefäß blindlings in die Menge geworfen und aufspritzende rote Tropfen und mühsam beherrschte Schmerzensschreie hatten vom Erfolg dieser gesellschaftskritischen Geste gekündet. Unruhe kam auf. Der nackte Instinkt gewann die Oberherrschaft. Er hatte eine Geschäftsidee. Falls er doch mal wie die Modernistenkollegen unterwegs sein sollte brauchte er eine überzeugende Legende, seine ganz eigene Story. "Ihr seid der Auswurf der Erde - paart euch mit Judenweibern, damit wenigstens die Nachgeburt etwas wird - Eure Kinder sind ja sowieso von Judenhengsten gezeugt - ihr Oktoberfestonanisten!" Unruhe kam auf. Er fühlte Hände an seinem Sakko. Er machte eine entschlossene Halbdrehung und plazierte sein angewinkeltes Knie in Magengruben. Der Druck ließ nach. Ein paar gekonnte Bodychecks, dann herrschte wieder Ruhe in seiner Körperprivatzone. Hehe! Konnte er sich in den toitschen Recken so getäuscht haben? Gar kein Heldenmut? Er reagierte nicht überlegt, er verteilte noch einige sehr schmerzhafte Tritte, wobei er unablässig schrie "Schwängert alle Deutschen Hausfrauen mit der Syphilis! Nieder mit der Deutschen Bank! Bolschewikdeutschland Ja Bitte! Rauschgift für alle!" Der jetzt unübersehbare Tumult blieb sehr unorganisiert. Ohne sich besondere Mühe gegeben zu haben fand sich ein Weg nach draußen für ihn. Wie von einer Maschine berechnet. Gern hätte er noch ein bißchen Schabernack gestiftet. Aber es war, als sei eine tonnenschwere Last von ihm abgefallen, statt zu diesen bescheuerten Politexzessen zog es ihn entweder zu seinem Skizzenblock, oder zu einer kleinen Session mit Geli, vor, hinter oder unter der Leinwand, beim bloßen Gedanken an ihre barocke Fülle juckte es ihn auch schon das keine Fragen offenblieben, ganz zu schweigen vom exklusiven Vergnügen, sich von ihrem Harnstrahl das Gesicht vergolden zu lassen ... Er atmete tief durch. Fraglos... er fühlte es, Gewißheit war in ihm... DAS war der Beginn seines WAHREN LEBENS...! Er stürmte aus dem verblödeten Biedermannsbeizel. Hinaus in die Nacht, um die Ecke, durch ein paar verschwiegene Gassen, Haken schlagen, durchstarten. Amüsiert registrierte er, wie seine Verfolger nicht einmal seine kleine Finte durchschaut hatten. Sie rannten in die falsche Richtung. Ja, ja schon so ein einfacher Hakenschlag war intelektuell zu viel für diese Phillisterseelen... Das Leben war eine Feier! Die Entwürfe könnte er auch morgen anfertigen, wenn Jungfrau Geli auch wieder gesünder aussah. Er wollte sich nur noch verschwenden! Er war am Droschkenstand herausgekommen. Der Tumult verlor sich in die entgegengesetzte Richtung. Ein Glück! Er hatte noch Bargeld bei sich. Verschwörerisch schlich er sich an einen der jünger wirkenden Taxifahrer heran und fragte nach einem hippen Lokal.

Konkurrenz belebt das Geschäft



Den kleinen Harry Potter schauderte es.
Diesen Ausdruck in den Augen seines alten Zauberlehrmeisters mochte er überhaupt nicht. Nein. Manchmal, wenn seine Verfehlungen und Versäumnisse eine so ungeheuerliche Dimension besaßen, daß sie mit einfachen körperlichen Züchtigungen nicht wieder gut zu machen waren, trat dieser seltsam stechende Zug in den Blick des alten Zausels. Wie der Vorgriff auf ungeheuere kommende sadistische Vergnügungen durch Qual und Demütigungen. Nach diesen Exzessen war der kleine Harry Potter für gewöhnlich einige Tage bis Wochen völlig außer Gefecht. Immerhin hatte er bis zum heutigen Tag alle diesbezüglichen Anwandlungen und Ausfälle seines greisen Lehrmeisters überlebt. Dies konnten wohl nicht alle seine Vorgänger von sich behaupten. Ein gehässiges Kopfnicken, eine wie hingehauchte Andeutung einer Geste, signalisierte dem jungen Zauberschüler das nicht er diesmal Angriffspunkt gewalttätiger Exzesse werden sollte. Der sklerotische Alte bedeutete ihm zusammen eine Fracht aus der Garage zu holen. Der Kofferraumdeckel des wurmstichigen rosa 1957iger Chevrolets schwang knarzend auf. Zwei zappelnde Säcke, die unaufhörlich vor sich hin zeternden, waren hinein gepfercht. Zusammen, der eine behindert durch die Last seiner Jahre, der andere durch die Zartheit seiner Jugend, hievten sie ächzend und stöhnend die beiden länglichen Würste aus dem Vehikel. In zwangsläufiger Solidarität schleiften sie die spröden Lasten in die große Zauberhalle. Der Schweiß floss in Strömen. Mehr als einmal fürchtete der kleine Harry seinem Meister könnte endgültig die Pumpe stehen bleiben. Erschöpft nickten sie sich zu. Die wurstartigen Säcke lagen auf dem kalten Hallenboden und zappelten und zeterten vor sich hin. Höchste Alarmstufe! Der Alte hieß ihn die beiden großen Holzkreuze aufrichten. Für diesen Zweck hatten sie sich aus der Konkursmasse einer Autowerkstatt einen passenden Seilzug beschafft. Zaubern war oft zu umständlich und zu anstrengend. Ächzend richteten sich die Marterwerkzeuge auf. Der erste Sack wurde aufgebunden. "Mein Gott- David Copperfield!" durchzuckte es den jungen Zauberschüler. Gemeinsam schleifen sie den Unterhaltungskünstler, dem während dieser Prozedur der Meister noch einige derbe Schläge zum Ruhigstellen verabreichte, zu der Holzkonstruktion und fesselten ihn mit dem Kopf nach unten an das Gerüst. Der Zaubermeister lächelte unheilverkündend. Ohne Gelegenheit zur Rast wurde der zweite Sack eröffnet, ein weiterer Unglücklicher kam zu Tage. "Klonk! Klonk, der Zauberchampion aus Kaaskoppland!" entfuhr es dem Kind. "Hähä! Genau der! Der mit den dreiviertelsnackten Weibern! Da ist Erfolg keine Kunst!" keifte der Meister schadenfroh. Auch diese Gestalt wurde an das Kreuz gebunden. Dem jungen Zauberlehrling wurde fast übel. Sicher würde sein Meister darauf bestehen, daß er den sadistischen Quälereien beiwohnte, ja sogar assistierte. Und an dem Leiden der Unglückseligen mitschuldig wurde... Der greise Zaubermeister blickte auf seine sündhaft teure Schweizer Designerarmbanduhr. "Schon viel zu spät.... noch viel vor... heuer!" orakelte er halblaut vor sich hin. Der Magieazubi verstand nur Bahnhof. "Ich hab' noch eine Karte für die Hans Meiser-Show gekriegt! Das laß ich mir wegen der Arschlöcher da doch nicht entgehen!" zischte er seinen Lehrling an. Umständlich nestelte er in seiner Zauberrobe. Befriedigt förderte er seine blitzende Walter PK zu Tage. Ohne weitere Erklärung verfeuerte er ein Magazin in den unglücklichen David Copperfield. Der holländische Magiewizard verfolgte das Geschehen mit schreckstarren Augen. "Munition, wo hab ich nur die Scheißmunition...?" murmelte der Alte. Ein buntes Kartonpäckchen wurde aus der Zauberrobe gezerrt. Klickend sprangen die Patronen in das Magazin. Der Alte drehte sich um. "Willst du mal?" Entgeistert verneinte der junge Bursche. "Komisch... also ich hab als Kind gerne mit allem was knallt und stinkt gespielt....!" Die nächste Magazinfüllung peitschte krachend aus dem Lauf. Der Publikumsliebling aus dem Land des Edamers beendete sein irdisches Dasein. "Konkurrenz belebt das Geschäft!" belehrte der Zaubermeister seinen Lehrling in einem unangenehm altklug klingenden Tonfall.