Köpfe und Tröpfe

EINIGE SCHLAGLICHTER:

WAGGIS HEADCHARGE

Albert Schweitzer hatte mit Afrika fast kein Problem. Das Einzige was ihm ernstlich fehlte war die Olympiasprungschanze von Grindelwald. Manchmal dachte er an das heimatliche Elsass. Wie schön waren dort die Frühstücke gewesen! Die ganze Familie saß um den schwarzen, ungehobelten Eichentisch, die riesige irdene Kaffeeschüssel dampfte, der Kaffee war so "blond wie die Zöpfe der Mädchen" (Heinrich Böll), sie tunkten Brotkanten und Kuchen hinein, bis von der Flüssigkeit fast nichts mehr zu sehen war. Dann tauchten sie ihre Holzlöffel hinein und schnabulierten das es eine Art hatte. Hier in Afrika gab es keine riesigen irdenen Kaffeeschüsseln. Frauen kauten Wurzeln und Gemüse und spuckten sie in Gefäße, es mochten auch irdene Schüsseln dabeisein, aber anders als daheim. Das Gemisch stand eine Weile und gärte. Es entstand eine Art Bier. Es war nicht so wie die Biere, die Albert Schweitzer vom heimatlichen Elsass her kannte. So wie sein geliebtes Kronenbourg, oder Fischerpils, a la "trink eins, piss drei!" wie sie zu scherzen pflegten, oder gar das leckere Ganter aus dem benachbarten Baden. Albert Schweitzer trank das Bier gern in der Dschungelbar. Ihre dämmrige Traulichkeit gewährt einen Augenblick Ruhe, einen Moment der Kühle gegen die zehrende Schwüle der afrikanischen Nachmittage. Nachdenklich saß er in der Dschungelbar über einem Bier. Plötzlich sah er ein Bild. Er stand direkt vor der Olympiasprungschanze Grindelwald. Auf den zweiten Blick bemerkte er an ihrem Fuße eine junge Frau. Es war Zensi, die Angebetete seiner elsässischen Jugend. Da beide einen Eid geleistet hatten, sich uneigennützig und aufopfernd in heilenden und pflegenden Berufen zu engagieren, hatten sie nie ihre Sehnsucht aufeinander stillen können. Zensi lächelte verführerisch und machte mit dem gekrümmten Zeigefinger der rechten Hand einladende Bewegungen. Sein Herz raste... streckte die junge Frau nicht geradezu lüstern- frivol die Zunge zwischen den Lippen hervor? Verhieß ihr Lächeln am Ende keineswegs jugendfreie Absichten? Es tat einen fürchterlichen Schlag. Albert Schweitzer krachte mit dem Kinn auf den Wirtshaustisch aus Tropenholz. Seine Nase kam vor dem afrikanischen Bierhumpen zu stehen. Er war wohl einen Augenblick eingeschlafen gewesen. Der Schmerz ließ einigermaßen schnell nach. Es mangelte nicht an eindeutigen Angeboten der afrikanischen Frauen. Auf ihre Annäherungsversuche antwortete er allerdings immer nur schlicht ,,ich habe noch einen Termin an der Olympiasprungschanze in Grindelwald.. . !"
s Die afrikanischen Frauen vermochten dieser Information kein Bedeutungssignifikat abzugewinnen. Ein guter Freund von Albert Schweitzer war der einheimische Arzt Prof. Dr. Lumumba. Prof. Dr. Lumumba hatte sich als der bedeutendste Spezialist auf dem Gebiet der Voodoo- Medizin profiliert. Die allgemeinen Ortskrankenkassen erkannten aber Behandlungen nach den Methoden der Voodoo- Medizin nicht an. Prof. Dr. Lumumba konnte also nur Privatpatienten abrechnen1 von denen es naheliegenderweise in dem abgelegenen Dschungeldorf nicht allzuviele gab. Der Voodoo- Spezialist hatte sich als Antwort auf das Herstellen kleiner Puppen mit den Gesichtern von Vorsitzenden der allgemeinen Ortskrankenkassen verlegt. In diese Puppen wurden Nadeln gestochen. Die führenden Persönlichkeiten der Ortskrankenkassen wurden von heftigen Schmerzattacken geplagt. Manchmal führten die Schmerzattacken zu einem äußerst unangenehmen Ableben. Die Mortalität des Personals der allgemeinen Ortskrankenkassen hatte sich unlängst stark erhöht. Eines Abends saßen Albert Schweitzer und Prof. Dr. Lumumba bei einigen Bieren in der Dschungelbar. Die angenehme Dämmrigkeit dieses Orts gewährte ihnen Zuflucht vor der vorregenzeitlichen Schwüle. Bei medizinischen Fachgesprächen hatten sie das drohende Herannahen der Sperrstunde gänzlich übersehen. Verdutzt registrierten sie die kräftig zupackenden Arme von B' Zulu- bln'- Limbo, dem charismatischen Zwei-Meter-Zwanzig-ungrad-vier-Zenter-und-noch-was Wirt der Dschungelbar. Sie fühlten sich gepackt und mit einem kräftigen Wurf verließen sie die erfrischende Kühle des Dämmers und landeten in der zehrenden Schwüle der Vorregenzeit. Albert Schweitzer und Prof. Dr. Lumumba blickten sich an. "Was tun mit dem angebrochenen Nachmittag?" stellte der genialische Dschungeldoktor eine ungemein brisante Frage in den Raum. Prof. Dr. Lumumba hieb ihm seine gewaltige Pranke auf die Schultern. Feixend schilderte er die schönen Fortschritte die sein Harem beim Kauen und Ausspucken von Wurzeln und anderen Pflanzenteilen jüngst erzielt hatte. "Manch irdene Schüssel hat sich mit dem Prozeß der alkoholischen Gärung gefüllt...!" machte er eine verheißungsvolle Andeutung. Arm in Arm wankten die beiden Großen Alten Männer der Dschungelmedizin zur Hütte von Prof. Dr. Lumumba. Nach einigen Kostproben aus irdenen Schüsseln vergnügte man sich im Arbeitszimmer von Prof. Dr. Lumumba damit, Nadeln in kleine Puppen zu stecken. Andernorts hielt Schnitter Tod eine grausige Ernte unter dem Führungspersonal der allgemeinen Ortskrankenkassen. Als das Pieksen ein bischen langweilig zu werden drohte, lud man die Damen des Harems zu einem flotten Tänzchen ein. Prof. Dr. Lumumba ließ sich nicht lumpen und legte seine groovigsten Jazz-Funk-Platten auf. Bis in den schwülen Morgen schwang man das Tanzbein. Albert Schweitzer dachte nur wenig an die Olympiasprungschanze von Grindelwald.



HOCH AUF DEM GELBEN U-BOOTWAGEN

Wuppertal 1955.

Gotthilf Fischer schlägt sich jede Nacht in der führenden örtlichen Existentialisten_ taverne um die Ohren. Rotwein. Schwarze Pullis. Sogar solche, die sich über üppige Oberweiten spannen. Ahnung von Strumpfhaltergürteln unter Röcken gerade so lang wie es der Anstand eben noch erlaubt. Gotthilf Fischer fühlt eine Anziehung. Erregung. Wichtiger ist jedoch die Kunst. Man spielt auf räudigen Wandergitarren die Lieder der französischen Chansoniers und Revolutionäre. Ein Freund deklamiert im Rotweinrausch die Worte der großen Philosophen. Ein anderer spielt dazu monotone Akkorde. Gotthilf Fischer summt dazu. "Summ- summ- summmmmm!" Der Rhythmus peitscht das Blut. Frau Wirtinnenlieder werden gegröhlt. Ungeheuerlliche, gewagte Obszönitäten fordern die Gesellschaft heraus. Gelächter erschüttert den Gewölbekeller. Kerzen flackern. Wachs tropft auf die Nierentische. Wenige Jahre später. Die meisten Freunde sind in die Bürgerlichkeit abgeglitten. Karnickelfamilien. Volksmusik. Beamtenkarrieren. Volkswagen. Riminiurlaube. Aber Gotthilf Fischer schließt keine Kompromisse mit der Spießergesellschaft. Durch Zufall lernt er im Wuppertaler Maxi-Grill Ernst Jünger kennen. Man entdeckt gemeinsame Interessen. Kunst. Kultur. Philosophie. Den Rausch. Der fidele Dichter macht ihn mit einem Freund bekannt. Es ist Albert Hoffmann. Die lustigen Drei lassen sich die Haare wachsen und tragen bunte Hemden. Nacht für Nacht begeben sie sich in den Zauberkreis der Droge. Herrliche Farben. Visionen. Phantastische Bilder. Gotthilf Fischer schont sich nicht. Handvollweise verschwinden die magischen Zuckerwürfel in seinem Schlund. Er ist der wildeste. Der Ausgeflippteste. Der Wahnsinn in Tüten. Er beginnt sich für ein Mitglied von Grateful Dead zu halten. Volkslieder entwinden sich seiner Kehle. In seinem drogenumnebelten Gehirn denkt er, er spiele stundenlange Gitarrensoli. Für die Einwände anderer Menschen erweist er sich als taub. "Gotthilf, du hast keine Gitarre! Du singst immer nur diese komischen alten Lieder!", sagen sie. Er hört nicht. Er ist das Grateful-Dead-Mitglied mit den längsten Soli. Endlos. Kosmisch. Abgefahren. Nach vielen Jahren denkt er, er sei mit seinen Kumpeln mal wieder auf Tour. Viele Menschen um ihn herum. Sound. Sonnenbad. Er hält das Brandenburger Tor für den Eingang von Haight Ashbury. Ein Bad in der Menge. Aufpeitschende Rhythmen. Jemand reicht ihm ein Bier. Er sieht überall Blitze. Er blickt nicht mehr durch. Alkohol ist er nicht gewöhnt. Ein Reporter der Bild-Zeitung nutzt seine Lage aus und entfacht einen Skandal. Tage später hält Gotthilf Fischer eine stark oszillierende Bild-Zeitung in der Hand. Die Schrift verschwimmt etwas vor seinen Augen. Trotzdem gelingt es ihm, sie zu entziffern. "Gotthilf Fischer im Alkoholrausch!" muß er entsetzt lesen. "Alkohol ist doch schädlich!" duchzuckt es ihn. Nur die Musik kann ihn trösten. Jerry Garcia ist gestorben, er muß durch seine Soli die entstandene Lücke im Bandsound füllen. Er greift seine in psychedelischen Mandalamustern bemalte Gibson SG und fetzt los. Das traktorgezogene, kanrnevalsmäßig hergerichtete Vehikel schaukelt im Rhythmus. "We all live in a yellow U-Bootwagen!" will er diesen derben Track nennen. Ein einsamer Zuschauer denkt sich: "wie damals bei dem Wolfgang Borchert- nun singen sie wieder...!". Er schüttelt den Kopf. "Volksmusik!"



SELBST IST DER MANN!

"Nee,... Du...!" Sie schien einen Augenblick zu zögern. Leicht fiel es ihr nicht. Schon irgendwie ein Schlußstrich... aber sie hatte sich ja entsprechend entschlossen,- in dieser verkorksten Beziehung mußte ja wenigstens eine Seite die Rolle des Erwachsenen übernehmen,- und er kam ja wohl in tausend Jahren für diesen Job nicht in Frage... Die aparte junge Frau gab sich einen Ruck. Energisch wehrte sie seine zudringlichen Hände ab. Er schnaufte ärgerlich. Bevor er sich auf seine beliebte schnoddrige Art zu artikulieren vermochte, fuhr sie lieber mit ihrem Anliegen fort. "Erstmal fühl' ich mich dazu noch zu jung... und dann mußt Du! lernen, Verantwortung zu übernehmen.... weißt du, überhaupt so ein bißchen....bißchen, na,- beziehungsfähig zu werden und so... und sowieso...",ihre Stimme nahm eine aggressivere Färbung an, "immer mit dem Wodka und so...", sie machte eine ahnungsvolle Pause, ob absichtlich oder unbewußt, "mit deinem Scheißwodka immer- wenn du das mit mir willst, mußt du erst mal in Therapie....!" Der markante nicht mehr ganz junge Mann glaubte sich verhört zu haben. "Hä.- bist du auf 'nem Scheißspießertrip oder was,- du altes Karbolmäuschen oder was ist angezählt?" Die Diskreditierung ihres Berufs durch die abwertende, sexistische Bezeichnung "Karbolmäuschen" brachte für die junge Krankenschwester das Faß zum Überlaufen. Empört sprang sie auf. "Du verdammter sexistischer Kindskopf!" "Süße- du bist Zucker wenn du so wütend bist!" Aber es war schon zu spät, ihre Hand zurück zu ordern. Derbe klatschte ihre linke, wie alle sensiblen Menschen war sie Linkshänderin,- Handfläche in das Gesicht des wodkaatmigen Liebeshungrigen. "Steck dir deinen Scheißbalg sonstwohin,- du...du...!" Sie schnappte ihre bediente Lederjacke und stürmte empört aus dem Hotelzimmer. "Du zugenähte Kittelschürze- alle Weiber in dieser Scheißstadt würden sich von mir was in die Bratröhre schieben lassen- nur du spielst hier die Primadonna oder was...!" gröhlte er ihr recht uncharmant hinterher. Mit einem derben Krach fiel die Zimmertür ins Schloß. Das Klackern ihrer Absätze verklang durch die Auslegware des Hotelkorridors nur mäßig bedämpft in Richtung Aufzug. "Scheiße, diese Zicke...! Wenn sie schon keinen Blag von mir will hätten wir ja wenigstens so ficken können... ist ja wohl das mindeste, oder....!" Frustriert hangelte er sich zum Kühlschrank des luxuriös ausgestatteten Hotelzimmers und mixte sich einen "Motorhead Screwdriver"- eine Mischung zu gleichen Teilen aus Gin, Rum und Wodka mit sehr großzügig Eis. Scheiße! Er wurde schließlich auch älter... es wurde für ihn einfach Zeit für was Kleines, er hatte zwar schon eine Reihe Kinder gezeugt, die Mütter hatten aber regelmäßig den Kontakt sabotiert, natürlich nicht den zu seinem Bankkonto, Zahlemann und Söhne durfte er natürlich spielen, aber mal mit den Kleinen elektrische Eisenbahn oder so, nee, das war natürlich nicht 'drin... Fotzen! Der "Screwdriver" ging aber auch schon wieder so was von auf Essig. Er mischte sich den nächsten und legte ein paar großzügige Lines aus. Mann! Was sein dufter Kontakt da angeschleppt hatte- für so'n Stöffchen hätte sich auch Adolf Eichmann nicht geschämt! Er flashte ganz verschärft ab. Also.. mit 'ner anderen Tante,- das lief irgendwie nicht. Mit seinem Karbolmäuschen hätte er sich das schon ganz knorke vorstellen können, schließlich, Kranken- schwester und so, hätte ja auf halbtags gehen können und sich um den Kleinen kümmern können, -irgendwie war es in seiner Vorstellung ganz klar, das er einen Jungen gezeugt hätte- vielleicht sogar an diesem Nachmittag, und heute Abend schon mit dieser duften Gewißheit im Kopf auftreten und so, noch'n geileres Konzert abliefern als sonst schon... und so... So'ne andere Braut, das wär dann doch wieder nur das selbe Spiel, sich anstechen lassen und dann bei ihm die Abzocke, aber nie mal mit den Lütten auffen Rummel oder die Nummer mit der elektrischen Eisenbahn oder so... das lief nicht, Alter! Wohlig legte er sich auf dem Bett zurück. Seine hautenge Lederhose spannte etwas. Aber ohne fühlte er sich so nackt. Jau! Mit der Mary wär das schon'ne Zentralschaffe geworden....na, vielleicht kam sie ja irgendwann wieder angekrochen, wenn sie von dem Moraltrip wieder runterkam... oder so... Fortpflanzung... wie machen das eigentlich die Tiere? Da gabs doch so komische Insekten, wo es nur Weibchen gab? Die ganz ohne männliche Artgenossen Nachwuchs kriegen konnten? Er knöpfte wenigstens seine "Panik"-Gürtelschnalle auf. Uff! Besser! Atmen ging leichter. So 'ne Art Mücken oder was war das... irgendwas mit "P", "Parti"... "Patte", oder was, nee, scheiße, dann halt auf Deutsch, irgendwie hieß das dann wohl "Jungfernzeugung" oder so... Oder diese Amöben.- die machtens ja auch nur mit sich selbst, schnürten sich ein und dann wurden zwei draus, und das wars dann... das war doch Klasse, Alter! Spielerisch versuchte er sich einzuschnüren.... seltsam seltsam, aber es funktionierte... oberhalb seines Beckens wich das Fleisch zurück, schmäler und schmäler, unterhalb und oberhalb bildete es einen Wulst... die Verbindung zwischen den beiden Hälften wurde dünner und dünner... Heh! Was für ein Trip! Sein Körper schrie etwas... er hörte es deutlich in seinem Hinterkopf, "Erbinformationen!", "Gib mir Erbinformationen!" schien seine untere Körperhälfte zu schreien. Woher nehmen und nicht seinetwegen auch stehlen? Er hatte eine seltsame Idee... Er zerrte seine geile Lederjeans, Unterwäsche fand er uncool, trug er drum auch nicht, auf Halbmast und machte "Kerze", ging fiel besser als früher in den blöden Turnstunden auf der Penne.... fast mühelos glückte ihm eine befreiende körperliche Übung für die die wissenschaftliche Bezeichnung Autofellatio angezeigt gewesen wäre.... nach kurzer Zeit fühlte er lustvoll den Strom der Erbinformationen durch seine Kehle rinnen. Er bildete einen körperinternen Kanal und leitete sie in die sich abschnürende untere Körperhälfte. Der Künstler spürte wie sich nach dieser Übertragung der Prozeß beschleunigte, die Verbindung war nur noch hauchdünn, welch seltsame Nabelschnur... sein Geist driftete ab, er nahm alles wie in Trance wahr... sein Leben zog an seinem inneren Auge vorbei... Der Hotelpage schob vorsichtig den Servierwagen vor sich her. Neben einigen Häppchen auf seinem Unterboden trug er oben einen mächtigen Sektkühler. Er hatte den Auftrag, pünktlich dem Künstler seinen Vorkonzertschampagner zu servieren. Auf sein Klopfen kam keine Antwort. Zögerlich schlug er erneut seinen Handrücken auf die Eichentür. Nichts. Der Champagner hatte Priorität. Herr Lindenberg pflegte Tobsuchtsanfälle zu bekommen, wenn er vor einem Konzert keinen Champagner kredenzt bekam. Vorsichtig drückte er die Tür auf. Er hatte keine Bedenken wegen eventueller peinlicher Situationen. In diesem Haus waren sie absolute Profis. Diskretion war ihr oberstes Gebot. Sein Blut drohte in den Adern zu gefrieren. Welch seltsame Szene! Herr Lindenberg lag auf dem Bett und schnarchte. Vor ihm stand ein trotz seiner mutmaßlichen Jugend verlebt wirkender Mann. Er hatte wirre, billig blondierte Haare, wulstige Lippen, leichte Glubschaugen und trug von oben bis unten Gummi und Leder. Der Typ wirkte irgendwie arrogant. Sein Blick streifte den Servierwagen und der Hotelkellner sah die nackte Gier in den Augen seines exzentrischen Gegenübers auflodern. Die hagere Gestalt griff sich die Flasche und zog den Korken mit den Zähnen. Gluckernd verschwand die kostbare Flüssigkeit in deren Kehle. Ein Gutteil lief seitlich aus den wulstigen Lippen und bekleckerte die Lederweste. "Das... das gehört Herrn Lindenberg....!" wagte das Faktotum einen zaghaften Protest. "Na und?" bleffte ihn die merkwürdige Person an. "Ähm....ähm... darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe.... falls, falls... der Herr Künstler Beschwerden wegen des Champagners anmelden sollte?" Der Typ stierte ihn feindselig an. "Wa--- Alder! Kennst mich nicht?" Der Kellner schüttelte bestimmt den Kopf. "Scheiße, heh! Ich bin Blixa! Blixa Bargeld!!"





WIE GUTER, SCHWERER, ALTER WEIN....



"Time turns once/turns twice/and then/turns again..." (The Zodiac Cosmic Sounds, 1969 (??)



"Huargh, Hust, Huargh!" krächzte der Greis. Ein schwerer Hustenanfall schüttelte den welken Körper. Dankbar akzeptierte er den untergeschobenen Arm der neuen Pflegekraft. Eine sympathische junge Frau, rotgefärbte, kurz geschnittene Haare, Nasenpiercing, Bauchnabelpiercing und eine Beringung, die sich der gewöhnlichen Wahrnehmung der Patienten entzog. Sie half dem hageren alten Mann auf die Beine. ,,Hähä!" griente er, "wenn ich mich bewege läßt der Schmerz etwas nach... !", die Stimme war ein fast wesenloses Brabbeln.
Sie kreuzten etwas auf dem Flur. ,,Stellen Sie sich ... Stellen Sie sich vor!" keuchte er hervor. "Mir träumte..., nech, die andere Nacht, nech, konnte ich ausnahmsweise einmal schlafen, nech...!", ein neuer Hustenanfall schüttelte den Greis, "also, nech, nech, mir träumte..." ,hier unternahm er eine kunstvolle, dramatische Pause, ,,also ich lief da diese Straße lang, nech, also es war in Villingen-Schwenningen, nech, könnte Villingen gewesen sein, oder Schwenningen, nech, aber, nech, ich glaub' doch, nech, ... ", er bog sich vor und zurück, fast spasmisch durchlief ihn ein Hustenkrampf, die junge Pflegerin wurde sich für einen Augenblick schmerzlich bewußt, daß es für den alten Herrn, so nett er war, nach dem Stand der Kunst keine Rettung geben würde, und eine aufwendige Operation, die man im übrigen wesentlich jüngeren bei erwiesener Mittellosigkeit verweigerte, kam bei diesem Sozialrentner von vornherein nicht in Frage; der alte Mann hatte sich halbwegs wieder gefangen und setzte erneut an: ,, nech, ( Nachhusten), nää, denk' ich doch mal, war doch eher Schwenningen, näch, so Industriebaracken, näch ( erneutes heftiges Husten, Pause), also...näch, lauf' ich diese Straße lang, nech, ( Husten ), also... sagen Se mal. ..näch, was glauben sie was ich da sehen tu'?" Der Versuch einer Kunstpause scheiterte an einem kapitalen Hustenanfall. ,,Kommt da so ein junges Bübchen .... vielleicht fünf Jahr'... nä, nech, und was sag' ich Ihnen? Das war der Martin Heidegger!!!!"
( Husten )