Das erste Mal tuts immer weh

Über obskure Querverschaltungen gelangte ein hoffnungsfroher Impressario an meine Telephonnummer: das Slam-Poetry-Unwesen soll nun endlich auch in Bobbeleloch, der studentenfrohen Kleingroßstadt, Einzug halten. Ich schwanke einen Moment, schließlich habe ich sie bei meinen Wanderungen durch die Welt zumindest als Zuschauer schon erleben dürfen (oder besser :ertragen müssen), diese Veranstaltungen, bei denen sich mehr oder weniger aufstrebende Verfasserinnen und Verfasser von literarischen Hervorbringungen (oder Herzblut getränkter Tagebucheinträge....) einer blutdürstigen Menge zum Fraß vorwerfen. Bezichtigt man Politiker jedweder Couleur des Populismus, so hat man noch nie eine derartige Veranstaltung eigenen Auges verfolgt: dagegen müssen die Veranstaltungen im Circus Maximus von einem Geist liebevollen Humanismus geprägt gewesen sein. Ohne allerdings die tatsächliche, Maßstäbe setzende Qualität einer Einrichtung wie der "Talentprobe" im Kölner "Tanzbrunnen" zu erreichen (über die es übrigens einen wunderschönen Film gibt, gleichen Namens, "Talentprobe"), wo Individuen, die von einem unbeugsamen Kunstwillen vorangetrieben werden einen Krieg gegen die Bestien vor der Bühne führen, diese absolut manische Qualität fehlt den Slammerinnen und Slammern, einen Schritt vor dem sich selbst legitimierenden Irrsinn bleiben sie stehen, inkonsequenterweise.... Doch ich sage zu. Ein Jugendfreund, zu dem ich nach langer Zeit wieder Kontakt habe, da er sich jüngst von seiner mit mir inkompatiblen Lebensgefährtin getrennt hat, oder sie sich von ihm, wohnt in der Nähe des Austragungsortes, dem "Cafe Atlantik" und er feiert just an diesem Donnerstagabend seinen Geburtstag, so daß sich zwei Fliegen mit einer Straßenbahnfahrt schlagen lassen. Ein Unterstützer und ich laufen bei P. dem Jugendfreund ein und helfen ihm Salat putzen und Gemüse klein schnippeln. Dabei bringt man sich mit ein paar Getränken sorgsam auf Betriebstemperatur. Fast wäre wegen der gemütlichen Runde die benannte Veranstaltung vergessen worden. Schon etwas zu spät muß der Ghettoblaster geschultert und zum Vortragen ausgerückt werden. Das "Cafe Atlantik" ist zum bersten voll. Mühsam muß der Kontakt zu den Verantwortlichen hergestellt werden,- in letzter Sekunde vor dem Auslosen. Das Schicksal meint es gut mit mir,- der zweite Platz in der kilometerlangen Liste ist mein. Den Auftakt macht ein bekannter Bobbelelocher Musiker im Nebenberuf, nachmalig wohl ein Mitglied der notorischen Drei Kabarettöre, die diese Stadt beherrschen wie weiland die Produkte der Firma Smith&Wesson Tombstone City. Der Typ trägt einen beschissenen Hut und bringt eine Nummer, die wohl hinlänglich PH-Immatrikuliertenkompatibel ist, das bedeutet, der Mob, der schließlich für seine finale Entmenschung, oder um ganz bei sich zu sein, je nach Blickwinkel und Menschenbild, das Eintrittsgeld hinterlegt hat, muß sich zurückhalten, mühsam die orgiastischen, aggressiven Strebungen zügeln... vielleicht sind auch alle miteinander befreundet oder er steht selbst auf der PH-Matrikelliste, und eine Krähe... sein Vortrag verläuft fast klassisch kirchentagsmäßig. Umso mehr wird es bei der Nummer Zwei Zeit. Ich gebe eine kurze Erläuterung, daß meine subtile Poesie der Unterstützung der holden Kunst der Musik bedürfe. Erstes Buhen, als wäre die Ankündigung eines akustischen Hintergrunds wie die Aufforderung zum allgemeinen öffentlichen Geschlechtsverkehr. Ewiges Rätsel Mensch. Die Aufführung meines schönen Liedes "Pamela Anderson- flieg dein Nazi-UFO" beginnt. Der Mob kommt langsam in Fahrt. Aufgestaute Energien werden in langsamer Katalyse freigesetzt. Die Frustrationen des anscheinend nur mäßig lustigen Studenten(innen)lebens werden Laut, ja Schrei. "Pamela Anderson, röste die Gansterrapper... grill sie gut.... mit deiner Strahlenkanone... nie wieder darf ein Gangsterrapper einen deutschen Nazirentner auch nur scheel ansehen.... am Strand von Florida....!" Um Resonanz muß man sich in einem derart kochenden Vulkankrater keine Sorgen machen. Teilweise überdeckt der Lautstärkeoutput des Publikums deutlich den eigenen. Zum Glück handelt es sich trotz allem um eine Art Popsong, nach drei Minuten kann er zu Ende sein, bleibt damit deutlich unter der vorgegebenen fünf Minuten-Marke für die Darbietungen, die volle Zeit wäre auch eine Prüfung für echt harte Survivalisten gewesen. Dankbar registriere ich ein offenes Fenster im Bühnenhintergrund, das die mühsame, bis unmögliche Passage durch die Menschenmassen ersparen kann, packe meinen treuen Ghettoblaster, danke dem Publikum für seine lebendige Teilnahme und mache aus dem Fenster einen gepflegten Abgang auf den Schwabentorring. Seltsamerweise untermalt von Rufen "Scheißstargehabe". Ewiges Rätsel Mensch. Der Veranstalter kann sich freuen, sogar vor den Toren der Lokalität drängeln sich die Massen und verfolgen gebannt die Vorgänge im Innern, zumindest das, was als Spin-off nach draußen dringt. Ein fröhlich animiertes Individuum aus dem Fenster allerdings das Begriffsvermögen der Zaungäste. Offene Münder. Na, vielleicht kommt das praktische Leben nächstes Semester auf den Lehrplan. Man schaut sich noch eine Weile feindselig an, der Unterstützer muß sich extrem mühsam einen Weg nach draußen bahnen. Was die überlegene Intelligenz meiner Routenwahl bestätigt. Mit Zuruf schließen wir zueinander auf und machen und auf den Rückweg zur Geburtstagsfeier. Auch dort kommt es später zu lustigen Mißhelligkeiten, dem Rest der Gäste, die sich überwiegend aus dem Bobbelelocher Behördenmilieu rekrutieren, abgesehen von einem Kokainfreakbekannten aus der wilden Jugend des Gastgebers, mißfällt mein entschiedenes Eintreten für Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele und unpopuläre Thesen zur Endlösung der Menschheitsfrage. Die bieder- gesetzten Behördennechte,- und -mägde, mit ihrer milieuspezifischen Indolenz und Indifferenz empfanden, wie man mir später erläuterte, die Art und Lautstärke der Diskussion als "kurz vor einer Schlägerei", was nun absolute Spinnerei ist und belegt die perzeptiven Defizite dieses Personenkreises. Der Gastgeber ist seiner Mittelmäßigkeit treu geblieben und hat mich nie wieder eingeladen. Irgendjemand, der der Veranstaltung bis zum Schluß beigewohnt hatte, erzählte mir ein paar Tage später, ich sei letzter geworden.