LZ 129 (INVERS)

-EIN WERKSTATTEINBLICK-

"LZ 129 (invers)" ist eine romanartige Erzählung, augenblicklich im Entstehen. Hier einige Abschnitte, ungeordnet, alles noch in der Phase des Bruchstückhaften.

Eine Geschmacksprobe:



INVERSION

Er bevorzugte für seine gewöhnlichen Unternehmungen traditionelle Verkehrsmittel. Deswegen verabscheute er die neumodischen Automobile. Der Lärm! Der Gestank! Widerlich! Gemächlich ruckelte die Droschke durch die engen Gassen von Friedrichshaven. Sie erreichten die großzügige Chaussee die aus der Ortschaft hinaus führte. Überall trotteten dunkel gekleidete Arbeiter, ihre Taschen mit der Brotzeit unter die Arme geklemmt. Wie ein riesiger Magnet zog das etwas entfernt liegende Werksgelände die Arbeitsleute an. Sie hatten alle das gleiche Ziel, nur das er wesentlich komfortabler anreiste. Die Schichtwechsel bildeten Ebbe und Flut dieser bis auf das monströse Werk verschlafenen Ortschaft, etwas was der nahegelegene Bodensee nicht zu liefern vermochte. Seine Gezeiten war der Wechsel der Epochen, der an seinen Gestaden lebenden Völkerschaften, Kulturen, Erdzeitalter, naturgemäß ein gemächlicher, ein sehr langsamer Wellenschlag. Da und dort hatten sich auch Arbeiter der Anderen Abteilung unter die Menge gemischt. Einige der Beschäftigten kippten an dem kleinen Ausschank gegenüber dem Hauptwerkstor noch eilig ein paar Schnäpse. Befriedigt registrierte er, daß von seiner, der Anderen Abteilung, niemand dieser Versuchung erlag. War der normalen Abteilung, der Offiziellen Fertigung, die Arbeit eine lästige Pflicht, der man in jeder noch so desolaten Verfassung meinte gewachsen zu sein, so mußte man bei ihnen Hingabe, eine quasi soldatische Einstellung mitbringen, jeder einzelne Handgriff erforderte höchste Konzentration, Aufmerksamkeit, Brillianz, Intelligenz. Der Erfolg, überhaupt die Existenz der Anderen Abteilung hing an den höchstmöglichen Qualitäten jedes Einzelnen. Respektvoll machten ihm die hereinströmenden Massen Platz. War auch niemand der Offiziellen Fertigung bekannt, was eigentlich seine Aufgabe, seine Beschäftigung im weitläufigen Organismus des Werks darstellte, so war doch klar, es müsse sich um etwas sehr hoch angesiedeltes handeln, die meisten vermuteten in ihm einen Forscher, der die weitere Vervollkommnung ihres Produktes betrieb, was er in gewissem Sinne auch sicher war. Die Pferde liefen unruhiger, die vielfältigen Gerüche und schrillen Geräusche des Fabrikgeländes setzten ihnen zu. Anscheinend vermochten sich die Tiere trotz täglicher Konfrontation nicht an diese Phänomene zu gewöhnen. Oder, fragte er sich, spürten sie den Nimbus, die Ausstrahlungen des Ungeheuerlichen, die sich im Schatten der zyklopischen Fabrikgebäude und Fertigungshallen für instinktgebundene Lebewesen möglicherweise spüren ließen? Er selbst empfand jedesmal beim Betreten des Fabrikgeländes einen schwer zu beschreibenden Schauer, den streifenden Hauch der Emmanationen ihres täglichen Schaffens. Nachdenklich entstieg er dem Gefährt, der Kutscher führte die Pferde am Geschirr zu dem kleinen Gebäude, wo sie versorgt wurden und man ihnen eine bescheidene Wiese zum Grasen angelegt hatte, ein selbst für diese Zeit schon anachronistisches Bild, eine Stallung, gemauert aus den selben rötlich schimmernden Klinkerziegeln wie die anderen Gebäude, diesen Kathedralen der Arbeit. Sein Weg führte ihn durch eine der gewaltigen Montagehallen. Entrückt von den in der Halle stattfindenden Aktivitäten schritt er über einen metallenen Laufsteg, der sich entlang der Hallenwände schlängelte, ungefähr auf halber Höhe der gewaltigen, in ein langgezogenes Spitzoval auslaufenden Fenster. Trotz ihrer enormen Größe,- ihre Neubeglasung kostete jedesmal ein Vermögen, - herrschte in der Montagehalle ein diffuses Dämmer. Die Größe der Halle hatte die eigenartige Erscheinung eines eigenen Kleinklimas hervorgebracht, es gab windstoßartige Luftturbulenzen, und eine Art, wenn auch bescheidener, Niederschläge. Nie konnte er sich versagen einen Augenblick inne zuhalten und die gewaltige Silhouette des im Entstehen begriffenen ungeheuerlichen Projektes zu betrachten. Ein Anblick der jedesmal einen fast religiös anmutenden Schauer in ihm auslöste. Instinktiv wollte er sich dieses Verharren versagen, sein Gefühl ließ sich einfach nicht davon überzeugen, daß die Maschinerie, die den eisernen Laufsteg optisch abschirmte, auch tatsächlich so perfekt funktionierte, wie Entwickler der Anderen Abteilung stets so stolz verkündeten. Aus den Blicken der Arbeiter konnte er sich unschwer zusammenreimen das man ihn absolut nicht wahrnahm, den wenigsten dürfte ohnehin selbst die bloße Existenz des Laufsteges bewußt sein. Mächtig ragte das Stahlskelett des fötalen Apparates bis unter die Hallendecke. Niethämmer kreischten ohrenbetäubend, Laufkatzen summten geschäftig, halbnackte Männer, schweiß,- und -ölverschmiert, ließen riesige Hämmer auf Werkstücke krachen, das Zusammenspiel, die Choreographie dieser hoch komplexen Arbeit flößte ihm jedesmal Ehrfurcht ein, er wurde nie satt, dieses Schauspiel zu betrachten. Er eilte weiter. Am entgegengesetzten Ende der Halle nahm ihn die Nebeltreppe auf. Ohne zu Zögern begab er sich durch den morbiden Dunst. Für einen Augenblick war er orientierungslos, der Wechsel der dimensionalen Ebenen erzeugte den gewohnten leichten Schwindel, für ihn war es jedoch längst Alltag. Während des Transfers spürte man das niederfrequente Vibrieren der gewaltigen Maschine, mit der das Tor zur Anderen Ebene geöffnet wurde. Manche empfindsame Naturen gewöhnten sich praktisch nie an die leichten Nebenwirkungen die durch den Ebenenwechsel induziert wurden, bei einigen, seltenen, extremen Fällen waren diese so stark, daß eine Arbeit für ihre Abteilung ausgeschlossen war, bedauerlich, denn nachdem man einmal vom Nektar des Geheimnisses gekostet hatte gab es kein zurück, irgendwann verirrte sich wieder einmal eine rätselhafte Leiche in das Netz eines verstörten Bodenseefischers. Der Nebel gab ihn wieder frei. Die Augen gewöhnten sich rasch an die eigenartigen Lichtverhältnisse der Anderen Ebene. Teilweise waren sie nach dem Stand der Wissenschaft nicht zu erklären, wo man diesen aufgrund der Erfordernisse ihres kühnen Vorhabens erhöht hatte, ließ sich zum Beispiel sagen, diese Abweichungen beruhten auf der Tatsache das hier die Geschwindigkeit des Lichts keinen Beschränkungen unterworfen war. Ein Umstand, sehr wesentlich für ihre Absichten. Seine Schritte hallten in den mit Leuchtplatten verkleideten Korridoren. Wenige der Mitarbeiter kreuzten seinen Weg. Zischend wichen Stahlplatten auseinander, er betrat sein Büro. Seine Androidensekretärin schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln. "Guten Morgen, Dr...............! " begrüßte sie ihn fröhlich. Er grüßte knapp zurück. "Rapport!" herrschte er knapp hervor. "Es wurde ein drohender Mangel Mercurischen Kalten Eisens gemeldet, Dr. .......!" kam sie seiner Aufforderung nach. Er fluchte kurz, bemerkte ärgerlich diesen kurzen Impuls des Verlustes an Selbstkontrolle, nachdenklich geworden legte er seine rechte Hand unter das Kinn, wie immer, wenn er nachdachte.. War seine Sekretärin auch keine Dame im herkömmlichen Sinne, so war doch im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht ein Mindestmaß an Gesittung von Nöten. Verflucht! Die nächste ihnen bekannte Quelle für Mercurisch Kaltes Eisen lag im System von Epsilon Eridiani, eine gute Ecke weg. Längst waren sie noch nicht soweit es synthetisieren zu können. Die Beschaffung war schwierig. Hier im Sonnensystem kam es bedauerlicherweise nicht vor. Das Material heiß begehrt und seine glücklichen Besitzer entsprechend wohlhabend. Sie hatten im Gegenzug nicht viel anzubieten, Zugang zu dort gebräuchlichem Bargeld besaßen sie keinen, Tauschgüter waren schwer zu finden, da die Geschäftspartner über fast obszöne Reichtümer verfügten. "Das Übliche- Quantentelegramm mit Bestellung aufgeben, wenn sie uns keinen Kredit mehr einräumen müssen wir uns was einfallen lassen. Bei Weigerung Gegenseite sofort Termin für Treffen Geschäftsleitung anberaunen. Bitte sofortige Ausführung!" traf er knapp seine Anweisungen. ,,Was gibt's noch?"
,, Ach so, fast vergessen,- der Querulant Schweigert hat seine Psyche nicht mit in den See genommen und spukt jetzt in der Hecksektion. Es liegen zahlreiche Beschwerden von Arbeitern über Behinderungen vor!" schloß sie ihren Bericht.
"Werkspolizei einsetzen! Sie sollen den Kerl mit dem Reduktor unschädlich machen- die eingefangene Psyche entladen und mit der gelöschten werden wir versuchen Tesla zu reanimieren...!", gab er das weitere Vorgehen an. Tesla! Endlich kam ihm eine Idee wie diese tragische Geschichte zu bewältigen war. Vielleicht war der alte Quertreiber Schweigert doch zu guter letzt zu etwas nütze. Schweigert hatte sich durch seine Krittelei und Obstruktion zu einem regelrechten Arbeitshindernis entwickelt. Und die Größe ihres Vorhabens ließ die Existenz von Arbeitshindernissen nicht zu. Die Situation in der sie sich mit ihrem Projekt befanden bot keine große Auswahl bei den zur Verfügung stehenden Methoden. Auf Arbeitshindernisse wartete der See... Tesla! Der tragische Tod des genialen Physikers war einer der größten Rückschläge ihres ehrgeizigen Projektes gewesen. Der Wissenschaftler war bei einem eminent wichtigen Projekt in einen elektrischen Überschlagsbogen geraten, dabei war sein Gehirn regelrecht gebraten worden. Der Leichnam lag tiefgefroren in einem Tank mit flüssigem Helium. Sie nickten sich zu. Er verließ das Vorzimmer und betrat sein Arbeitszimmer. Mit dem Durchgang durch seine Tür erwachten die unzähligen Terminals die seine Wände säumten zum Leben. Befriedigt registrierte er die Schwingungen der Unhörner mit denen die Werkspolizei ihre Einheiten zusammenrief. Er nahm hinter seinem Schreib, -und- Schaltpult Platz. Nachdenklich stützte er sein Kinn auf seine gefalteten Hände. Die Sache mit dem Kalten Eisen konnte problematisch werden. Wenn die Eridianer nicht mitzogen war guter Rat teuer. Als Handelsgut im Gegenzug kam praktisch nur die Lieferung von Sklaven für die Minen und die Harems in Frage. Nicht das ihm die ethischen Implikationen dieses Umstands zu schaffen gemacht hätten. Es bedeutete einfach ein höheres Risiko für ihr Vorhaben. So viele Menschen gab es hier im Umland des Sees auch nicht, daß das Verschwinden einer größeren Anzahl einfach nicht bemerkt werden würde. Andererseits hatten sie keine Wahl, zur Not würden sie halt die grobe Masche fahren würden. So oder so. Ihr Projekt schloß aus, an so einem vernachlässigbaren Umstand zu scheitern. Falls jemand mißtrauisch werden würde müßte bei ihren guten Kontakten zu den vorgesetzten Behörden schon viel passieren bis man solchen Stimmen Gehör schenken würde. Aber jede Art Aufsehen war extrem ungelegen. Leicht geriet das Risiko aus dem Bereich des Kalkulierbaren. Eine Zwickmühle. Bedauerlicherweise eine Zwickmühle, die für das Gelingen des Unternehmens entscheidend war.



FISCHEREI VERKEHRT

"Gleich haben wir ungefähr die Seemitte- mit etwas Glück treibt's zu den Eidgenossen..." Der Sprechende schob sich mit einer nachlässigen Geste die Krempe seines Zylinders aus der Stirn. "Vielleicht noch einen halben Kilometer,- sicher ist sicher...!" Der andere nickte unbestimmt. Sie hatten Glück. In dieser Nacht gab es dichten Nebel. Die Sichtweite lag irgendwo zwischen fünfzig und hundert Meter. Verächtlich musterten sie das in ein größeres Fischernetz eingewickelte Bündel. Ab und zu liefen konvulsivische Bewegungen durch die amorphe Masse. "Verflucht- der Scheißkerl lebt noch!" Einer der beiden Männer zog ein schweres Messer aus einem seiner Hosenbeine. "Kein Messer- kein Blut hier im Boot!" Der Angesprochene zuckte gleichmütig mit seinen Schultern. Das Messer verschwand wieder im Hosenbein. Er holte Schwung und trat heftig auf das eine Ende des Bündels. Die Bewegungen wurden schwächer. Der andere peilte ins Rund. "Niemand zu sehen... keine Patrouillenboote, keine Fischer.... Schluß jetzt! Weg mit dem Arschloch!" Ein angedeutetes Nicken signalisierte Zustimmung. Die beiden Männer setzten ihre Zylinder ab und verstauten sie unter einer Runderbank. Die Ärmel wurden hochgekrempelt und entschlossen das Netz mit seiner offenbar menschlichen Fracht gepackt. "Und... eins und zwei...!" Mit Schwung flog es über das niedrige Bord, die Bewegungen der dunkel gekleideten Männer verrieten Routine. Mit einem trägen Platschen schlug es auf die Wasseroberfläche. Nach wenigen Augenblicken war es in die Tiefe verschwunden. Man sah eine Blasenspur, die bald schwächer wurde und schließlich ganz aufhörte. Einer von beiden fixierte die Aufschlagsstelle. Der andere wand sich ab. Der Zylinder wurde der unbeweglichen Gestalt zugereicht. "Na, warten sie auf Schwimmkunststücke?" Das brutal wirkende Gesicht verzerrte sich zu einem bemüht wirkenden Grinsen. "Wenn er in dem Zustand noch schwimmen können sollte hätte er ja fast das rettende Ufer verdient, meinen sie nicht?" "Wir lösen hier Probleme und veranstalten keine Leibesübungen!" wies ihn der andere zurecht. "Stimmt! Unsere kleine Rochade hier hat auch tatsächlich mehr den Charakter einer Fischfütterung!" Wortlos nahmen sie auf den Runderbänken Platz. "Und- zugleich!" Die Blätter der Ruder tauchten mit einem kurzen Klatschen in das Wasser. Das Boot nahm langsam Fahrt auf.



DÜSTERE SCHATTEN

Freiherr von Rank hielt seinem Blick stand. "Das kann das Ende bedeuten...!" Dieser Satz hatte sich wie eine Wolke sich manchmal vor die Sonne zu schieben pflegt, über das Arbeitszimmer gelegt. Fast schien es, als sei das Flimmern der Brown'schen Röhren, die nahezu die gesamte Wandfläche bedeckten, zum Stilstand gekommen. Nervös fingerte von Erbrecht mit der Morsetaste, mit der die Eingaben für die Zusemaschinen vorgenommen wurden. Selbstverständlich hatte er die Taste deaktiviert, auf nicht sachgemäße Impulse reagierten die komplizierten Rechenmaschinen äußerst empfindlich. "Und... und die Information ist stichhaltig?" Seine Nervosität nahm noch zu. Seine Frage war rein rhetorischer Natur. Freiherr von Rank hätte ihn selbstredend nie mit Unfug behelligt. Bei diesem Projekt war selbst der übliche Tratsch und das unvermeidliche, wichtigtuerische oder nur Peinlichkeiten überbrückende Gerede um mehrere Stufen herunter transformiert. Allein die ungeheuerliche Art ihres Vorhabens hatte sich ähnlich der Ehrfurcht, wie sie die Besucher großartiger gotischer Kirchenbauten zu überkommen pflegte, schon in den Bann geschlagen. Militärische Disziplin und die bedingungslose Geheimhaltung, der sie sich um den Preis ihrer Existenz nebst der ihrer Angehörigen, ausgeliefert hatten, taten ein übriges. Die beiden düster- rabenartig wirkenden Männer blickten sich ernst an. "Verfluchte Bürokraten!" zischte von Rank zwischen den Zähnen hervor. "Keinen Schimmer von militärischen Notwendigkeiten!" ergänzte von Erbrecht. "Wir werden Theater spielen müssen...!" "Wir hätten schon längst eine Art Potem'kinsches Dorf einrichten sollen... ein schweres Manko, jetzt, auf die schnelle.... ein Risiko für das gesamte Projekt!" "Handeln ist angesagt....!" "Keine Zeit ist zu verlieren.....!" Ihre Stimmen steigerten sich zu einem abgehackten Stakkato. Mehr und mehr verschwanden ganze Satzteile. "Militärische.......!" "Konzertierte ......... Aktion.......!" "Unbedingte.... unerschütterliche...... Vorgehen!" "Bangemachen...... Feind...... Bürokratie.....Rechnungshauptschluß...!" ".....niemals.....Fehler......Tarnen.....Täuschung.....Geschlossenheit!" "Eindruck... Theater.... Fehlleistung....!" Die Tonhöhe ihrer Lautäußerungen nahm zu. Ende! Das Intervall akustischer Verständigung war vorüber. Eine der vollkommen unerklärlichen Erscheinungen der Anderen Zone. Hing es mit den differenten Entropiebeträgen der Anderen Zone zusammen? Die Wissenschaftler tappten noch im Dunkeln. Nur die widerstandsfähigsten Charaktere vermochten sich dieser, wie auch den anderen gespenstischen Erscheinungen der Anderen Zone zu stellen. Die meisten ungefestigten Naturen pflegten früher oder später dem Wahnsinn zu verfallen. Manche waren wenigstens in der Lage, für eine kleine Weile einen nützlichen Beitrag für das große Projekt zu liefern. Die Regel war jedoch, beim ersten Angesichtigwerden der mannigfaltigen speziellen Phänomene und Erscheinungen der anderen Zone spontan jede Zurechnungsfähigkeit einzubüßen. Bitter, wenn dies von der Projektumgebung nicht sogleich bemerkt wurde und die Unglückseligen größeren Schaden anrichteten. Jede durch Fehlbedienung zerstörte Maschine war ein Stocken, ein Zaudern, ja ein Schwanken des ungeheuren Vorhabens. Die auferzwungene Stille ließ die beiden Männer ihr Treffen beenden. Man tauschte die für diese Umstände verabredeten Gesten. Von Rank beeilte sich seine Position vor dem ungeheuren Eichenschreibtisch zu räumen. Mit sicherem Instinkt hatte er erkannt, dass wieder ein Dunkelzyklus anbrach. Nichts vermochte in diesen Zyklen die Räumlichkeiten, die den Gesetzen der Anderen Zone unterworfen waren, zu erhellen. Die Beleuchtungskörper schienen die Emission von Photonen einzustellen. Man hatte Messungen vorgenommen, Lichtquanten wurden weiterhin emittiert, allein der Raumäther, das Transportmedium, ja der Raum selbst schien seine Qualitäten zu ändern. Ärgerlich war und blieb, dass sich selbst mit den leistungsfähigsten Zusemaschinen keine regelmäßigen Intervalle feststellen ließen. Das Lichtfehlen, wie die Erscheinung in ihrem speziellen Jargon benannt wurde, im Unterschied zur physikalisch erklärbaren Dunkelheit der vertrauten Welt, folgte keinen erkennbaren Zyklen. Ein großer Hemmschuh für ihre Arbeit. In der überaus schnellen Dämmerung schaffte es von Rank einen der komfortablen Schreibtischstühle zu sich heranzuziehen und sich zu plazieren, bevor die wesenlose Dunkelheit alles verschluckte. Hier hieß es, sich mit Geduld zu wappnen. Von Erbrecht behielt seine bereits sitzende Position bei und versuchte die aufkommende Panik niederzuhalten. So oft er diesem Phänomen schon begegnet war, traumatisierende Kindheitserlebnisse, sein Vater, der Rittmeister von Erbrecht pflegte ihn nach den körperlichen Züchtigungen, quasi zur Abrundung der erzieherischen Maßnahmen, in den vollkommen lichtlosen Tiefkeller ihres Rittergutes zu sperren, hatte ihm eine existentielle Furcht vor undurchdringlicher Dunkelheit eingegraben. Es sprach für diesen überzeugten Militär, sich dieser Angst nicht auszuliefern, sondern sie zu beherrschen zu suchen. Schweiß klebte an seinen Händen, er krampfte sich an die Armlehnen. Es wurde dunkel.



FEIND HÖRT MIT!

Zweige knickten unter den eleganten, mit Gamaschen versehenen Lederschuhen. Die Bediensteten würden einiges zu tun haben. Über dem See kündigte sich erstes Morgenlicht an. Ungünstig. Man hörte die vier Männer unterdrückt in englischer Mundart fluchen. Sie waren langsamer wie berechnet vorangekommen. Die Zeit lief ihnen weg. Mühsam wuchteten sie eine ungeheure Seekiste vorwärts. Es lief mehr auf ein Schleifen hinaus. Das möbelstückartige Behältnis war zu schwer, um es zu tragen. Alle zwanzig Meter mußten sie die Schleifspuren verwischen. Nichts durfte auf ihre eigentümliche Tätigkeit hinweisen. Das Tilgen der Spuren erfolgte mit äußerster Akribie. Der schwierigste Teil lag jetzt vor ihnen. Sie mußten sich eine Anhöhe hinauf quälen. Die Ortsverhältnisse waren sorgsamst ausgespäht worden. Ihr Ziel war für ihre Zwecke ideal. Uneinsehbar, von allen Wegen und Stegen weit genug entfernt, mit einfachen Mitteln gegen Sicht zu schützen. Ein Platz, fast wie eigens für sie geschaffen... wäre da nicht der weite Weg, sie mußten sich eingestehen, die Größe ihrer Herausforderung unterschätzt zu haben. Solange es nur nicht zu schnell hell wurde... Die vier Männer versuchten nicht zu laut zu fluchen. Unwillig dämpften sie ihre Geräusche. Mit aller Kraft wurde das Ungetüm von einer Seekiste, mehr schon ein Seeschrank, mit massiven Beschlagteilen ausgestattet, gezerrt, geschoben, verflucht und mit Schweiß benetzt. Als an die Konturen des Waldes und ihrer kleinen Gruppe schon mehr sehen als nur erahnen konnte, hatten sie es schließlich geschafft. Auf den Nieten und Metallteilen, die der massiven Konstruktion Halt und Struktur verliehen, hatte sich längst ein wässeriger Film gebildet. Der Niederschlag menschlicher Anstrengungen. Mit unterdrücktem Stöhnen hatten sie die kleine Anhöhe erklommen. "Gentlemen,- hurry up!" Einer der Männer, offensichtlich der Anführer bedeutete mit energischen Armbewegungen sofort die Aktivitäten fortzusetzen. "I check up our trail- no traces to be left.- The Fritz should not be under-estimated...!" Mit diesen Worten wandte sich die hochgeschossene Gestalt abrupt um und verschwand im Morgennebel. Die übrigen Männer nickten sich zu. Jeder trat nacheinander an die monumentale Kiste und steckten einen kleinen Schlüssel in ihr Schloß. Beim dritten sprang die Tür des Seemöbel ächzend auf. Energisch entnahmen die Gestalten in offenbar sorgfältig eingeübter Reihenfolge ihr eine Reihe Gegenstände. Zielsicher, mit forciertem Tempo, jedoch ohne den Fortgang des Unternehmens gefährdende Hektik, schien man eine Art Apparat zusammen zu bauen. Kabel wurden gesteckt, anschließend mit Schraubvorrichtungen gesichert, Teleskopbeine ausgeklappt, Geräte aufgeschraubt, um in ihrem Inneren Manipulationen vorzunehmen, Flüssigkeiten in ein Behältnis, das offenbar eine elektrische Batterie darstellen sollte, gegossen, einer der Männer hatte sich einen zerbrechlich wirkenden Kopfhörer aufgesetzt, der Morgennebel netzte die großen Bakelithörschalen. Das Zuleitungskabel der Konstruktion wurde nacheinander in die verschiedenen in Holzgehäuse eingebauten Geräte eingeführt. Mit angestrengter Mine belauschte der rabenartig wirkende Mann undefinierbaren Alters deren mechanisch-elektrisches Innenleben. Sein voluminöser Schnäuzer vibrierte unmerklich. Von Zeit zu Zeit quittierte er seine Bemühungen mit einem zustimmenden Nicken, löste die Kabelverbindung und schuf eine neue. Binnen einer knappen Stunde, der Tag war nun endgültig angebrochen, hatte sich eine umfangreiche Apparatur unbekannten Sinn und Zwecks ergeben. Metallene Stangen, die in die hellnaturholzfarbenen Gehäuse mündeten, reckten sich in Richtung See. Eine Unzahl Kabel war zwischen den einzelnen Elementen verlegt, einige Strukturen erinnerten vage an Fernrohre oder Teleskope. Die Gestalten setzten ihre während der Arbeiten abgelegten Zylinder wieder auf. Einer der Männer kramte umständlich in den Innentaschen seines grünen Wollmantels nach einer Uhr. Er klappte sie auf und musterte prüfend das Zifferblatt. "Soagn's amol- was machens denn do?" Die Männer zuckten zusammen. Ein Neuankömmling schob sich aus dem Unterholz. Das Gebüsch gab die Sicht auf eine untersetzte, korpulente Person frei. Nach ihrer Bekleidung offensichtlich ein Jäger. Seine Flinte zeigte drohend auf die erstarrten Gestalten. Beide Parteien fixierten sich. "Well...." räusperte sich einer aus der kleinen Gruppe. Er suchte offensichtlich auf Zeit zu spielen. Demonstrativ machte er eine weit ausholende Geste. "Let me explain...", er schien angestrengt nach den richtigen Worten zu suchen. Unglücklicherweise war der Anführer der Gruppe der einzige, der das Idom der Einheimischen, wenigstens in seiner hochsprachlichen Variante, beherrschte. Selbst wenn man ernsthaft dem Ansinnen des Grünrockes hätte nachkommen wollen, wäre es wegen Verständigungsschwierigkeiten schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt gewesen. "Jo soaget a ol- so goaht des aber nit- bi uns kann nit jeder im Wald rummache wie er wit- des wird jetzt zur Anzeig broacht, un ihr kumme mit...!" Die etwas längere Rede ließ die drei Männer irritiert zurück. Man machte jetzt Anstalten mit ungeduldigen Gesten die Gruppe zum Mitkommen aufzufordern. "Gentleman- we are the Niedergangspolizei!" Eine kühl-artikuliert, unaufgeregt-gelassen anmutende Stimme hatte sich im Hintergrund vernehmen lassen. Der Jäger wollte herumzucken. Mit einem häßlichen Ächzen sackte er mitten in der Bewegung zusammen. Gurgelnd schoß eine Blutfontäne aus seinem Mund. Der Anführer der kleinen Gruppe stach ohne erkennbare Gemütsbewegung, jedoch konzentriert auf ihn ein. Der grünberockte Waidmann wälzte sich wimmernd auf dem Waldmoos. Mit ihrem Knie fixierte ihn die hagere Gestalt, die offensichtlich über enorme Körperkräfte verfügte. Ohne zu zögern setzte der rätselhafte Mörder seinen enormen Dolch an die Kehle des Jägers. Eine zweite Fontäne spritzte aus dem heimgesuchten Körper. Rasend schnell wurden die spastischen Bewegungen des Erdolchten schwächer, schließlich verebbten sie ganz. Seine Augen waren gebrochen, ratlos, wie in letztem Nichtverstehen. Kläffend schoß ein dunkelbrauner Dackel aus dem Unterholz. Die Gesichtszüge des Meuchlers verzogen sich zu einem mißbilligenden Stirnrunzeln. Ohne zu überlegen trat er der armen Kreatur ins Genick, als diese seine Hosenbeine zu fassen versuchte. Mit einem weiteren derben Tritt auf den Schädel des moribunden Hundes sorgte er für vollendete Tatsachen. Er vergeudete keinen weiteren Blick an die beiden Opfer seiner Bemühungen. Die hagere Gestalt trat an die Apparatur heran. "Gentlemen- we have to manage our radarsystem into operating modus... all systems go!"



WERKSBESICHTIGUNG

Neugierig ließ er seinen Niethammer sinken. Eine kleine Gruppe seriös gekleideter Personen war in die Montagehalle getreten. In ihrer Mitte befand sich eine seltsame Gestalt. Ebenfalls wie die übrigen in einen gediegenen Frack gekleidet mit dem obligatorischen Zylinder auf dem Kopf, jedoch trug er ein merkwürdiges formloses schwarzes Ding über der Brust. Sein Gesicht wurde durch einen merkwürdigen Walroßbart bestimmt. Sein Mund bewegte sich unablässig, jedoch war im infernalischen Tosen der Kompressoren und dem rhythmischen Rattern der Niethämmer nichts zu verstehen. Mit Engelsgeduld schien man auf die Person einzureden, deutete hierhin und dorthin, erläuterte offensichtlich Maschinen und die technischen Einrichtungen, allein, die Gestalt ließ sich in ihrem selbstischen Fluß nicht stören. Er sah unablässig den Mund in Bewegung. Jetzt dämmerte ihm auch, was das formlose schwarze Etwas über der Brust darstellte: eine Zwangsjacke! Was mochte man mit einem offensichtlichen Irren in dieser Fabrik bezwecken? Der Körper der fixierten Person ruckte nervös hin und her, die Situation schien von ihr keinesfalls gebilligt zu werden. Er war sich unschlüssig, ob er seine Arbeit wieder aufnehmen sollte. Das ging ihn ja irgendwie alles nichts an. Trotzdem fühlte er sich gestört. Aus der kleinen Gasse zwischen den mächtigen Kompressoren, die die Druckluft für seinen Niethammer lieferten, kam Triebholz, ihr Vorarbeiter. Er lächelte windschief. Mit einer knappen Geste bedeutete er ihm, mit seinem Ohr an seinen Mund zu kommen. Eine andere Art der Verständigung wäre hier,- direkt bei den Maschinen,- zu mühsam gewesen. "Das ist der berühmte Professor Nietzsche- soll nicht mehr ganz richtig sein, oder so, - er redet anscheinend von nix anderem mehr, als daß er Weiber haben will- um ihn abzulenken hat man hier die kleine Werksbesichtigung arrangiert- aber es ist ihm anscheinend völlig scheißegal....!" zischte er verschwörerisch. "Wie kommt der Kerl hierher?" "Sitzt anscheinend in der Mainau!" "Was'n das für'ne Marke?" "Soll wohl so'n Philosoph sein!" "Na, mir zu hoch!" "Klar, dir reicht immer noch dein Hammer!" Der Vorarbeiter wollte sich ausschütten vor Lachen. Derbe hieb er ihm seine Faust ins Kreuz. "Aber jetzt mal keine Müdigkeit vorgeschützt- Nietzsche oder nicht- mach mal voran mit deinem blöden Hammer!" Mürrisch fing er wieder an Nieten in das Metall zu treiben.



BRAUTNACHT

Der ungeheure Andruck preßte sie in die der Körperform angepaßten Sitze. Das projektilartige Fahrzeug schoß aus dem Starttunnel. Die Gestalt neben ihm wimmerte unterdrückt. "Sei stark,- Elsa,- gleich ist Brennschluß...!" Die Worte konnten nur mit äußerster Anstrengung von seinem Mund geformt werden. Die wahnwitzige Kraft der Beschleunigung drückte seine Kiefer zusammen. Er wollte sich keine Blöße geben, aber auch ihm machte diese Phase zu schaffen. Es war ein Phänomen an das man sich nicht gewöhnen konnte, selbst ihm, dem erfahrenen Test,- und Risikoluftschiffer verlangte der Start jedesmal das Äußerste ab. Trotz der Schmerzen und der vielfarbigen Schleier, die vor seinen Augen tanzten, mußte er in sich hineinlachen. Vielleicht ein Versuch, sich von der ungeheuren Beklemmung abzulenken. Er dachte an seinen Zweiten Offizier, der eigentlich diesen Testflug hätte mitmachen sollen und nicht seine Verlobte Elsa von Brabant, die im Sessel neben ihm unterdrückt stöhnte. Er hatte seinem Kameraden, Ritter zum Eck, ein zu den schönsten Hoffnungen Anlaß gebender noch sehr junger Luftschiffer, der für die Testreihe an diesem Versuchsmuster als sein Stellvertreter und zweiter Mann fungierte, ein Geschenk der ganz besonderen Art gemacht. Er war durch die Gunst eines nahen Verwandten an ein Quantum des im Seehinterland angebauten Rauchopiums gekommen, eine seltene und entsprechend teure Spezialität der Landschaft. Kenner waren für gewöhnlich bereit, weit mehr als den geforderten Preis für diese aparte Ware zu zahlen, die Nachfrage pflegte für gewöhnlich bei weitem das Angebot zu übersteigen. Der größere Teil des produzierten Mohnsaftes mußte an den Einkauf der IG Farbenwerke abgeführt werden, der Industriemoloch wachte eifersüchtig über die Produktion, man wollte nicht, das Konkurrenten in den Besitz dieses wertvollen pharmazeutischen Grundstoffes gelangen könnten, deswegen war es für die Landwirte sehr schwer, aus ihrer Ernte etwas für den Zweck des privaten Genusses abzuzweigen, meist wenn die Feldhüter der Polizei die eine oder andere Gefälligkeit erwiesen bekamen. Auch im Reich hatte alles seinen Preis... Ritter zu Eck, wenig erfahren auf dem Gebiet des kultivierten Rausches, hatte sich wunschgemäß in ein temporäres Nirvana verfügt und stand für diesen Testflug nicht zur Verfügung. Er als Respektsperson hatte es geschafft seine Braut an Bord zu schmuggeln. Für ihn als Adligen mußte auch im Umfeld eines derartig kostenintensiven und einer extrem gesteigerten Geheimhaltung unterliegenden Projektes Raum bleiben, einen der plumpen Masse überlegenen Lebensstil zu kultivieren. Seine Aufgabe war, ein stark verkleinertes Modell des angestrebten Fahrzeuges zu erproben. Schon dieses Versuchsmuster verschlang einen Gutteil der verfügbaren Finanzmittel des Reiches. Für die Optimierung des Projektes mußten sie einfach die grundlegenden Prinzipien der Konstruktion eines solchen erstaunlichen Mechanismusses experimentell überprüfen und Erfahrungen mit den Gegebenheiten dieser völlig neuen Art von Luftschiffahrt sammeln. Er studierte seine Instrumente. Vor den Bugbullaugen massierte sich die Schwärze des interplanetaren Raumes, die den Anblick des herbstlich-grauen Nachmittagshimmels über dem blauen, trägen See abgelöst hatte. Die Brennphase hatte sie aus der irdischen Lufthülle herausgeführt und auf einen Kurs gesetzt, der eine weite Schleife in die Planetenzwischenräume bilden sollte. Das irrsinnige Dröhnen der Antriebsmaschine hatte aufgehört. Sofort war aller Druck abgefallen. Es wurde unendlich leicht. Wegen des großen Mangels an reinem Mercurischen Eisen mußten sie darauf verzichten, während der Testfahrten eine künstliche Schwerkraft an Bord zu erzeugen. Ebenfalls aus diesem Grunde konnte keine dem gewaltigen Andruck vollständig entgegen- wirkende Kraft erzeugt werden. Er konsultierte den leise klickenden Holerithrechner. Für eine Weile konnte dieser selbständig das Fahrzeug führen. Die Instrumente lieferten Angaben, die sich allesamt im zu erwartenden Bereich lagen. Die Zeiger zitterten ohne Ausnahmen in den funktionsgerechten Bereichen ihrer Skalen. Die drahtlose Verständigung mußte bei dieser Fahrt unterbleiben, man hatte Franzosen auf Horchposten im nahen Schwarzwald gesichtet, ihnen ein falsches oder zu irrigen Annahmen führendes Ergebnis zu liefern war klüger als ihre Aktivitäten zu unterbinden, eine alte Grundregel der Geheimen Dienste. Er löste den Gurt und schwebte hinüber zu seiner Verlobten. Die Lauterkeit und Ernsthaftigkeit seiner Heiratsabsicht hatte ihn von der Zulässigkeit seiner Absichten überzeugt. Die Gute hatte das Bewußtsein verloren. Zärtlich neigte er sich über sie, immer mit einer freien Hand seine Position fixierend. Er hatte schon beträchtliche Erfahrungen im Umgang mit dem schwerelosen Zustande. Sorgfältig überprüfte er den Puls der jungen Frau und klärte den medizinischen Befund. Es lag kein zur Besorgnis Anlaß gebender Zustand vor. Vermutlich hatte das Einwirken der Beschleunigungskräfte zu einer kurzzeitigen Verminderung der Durchblutung der Hirnorgane geführt. Zärtlich raffte er ihren Gesundheitsreformrock nach oben. Seine große Zuneigung zu dem jungen Fräulein von Brabant ließ ihn ein solch eigentlich unschicklich modernes Kleidungsstück tolerieren. Eigentlich schätzte er ein solides Mieder und die dadurch von ihm als anziehend, ja erregend empfundene "Wespentaille". Bei seinen bisherigen Affairen und Amouren, eingeschlossen der gelegentlichen Besuche bei den käuflichen Damen, hatte ihn das schier nicht enden wollende Aufknüpfen des Mieders in eine extreme Raserei versetzt. Seine Elsa hing diversen Reform,- und Gesundheitsideen an, er würde sehen müssen, wie sich diese Neigung in ihrer Ehe weiter entwickeln würde. Als passionierter Jäger ließ er sich nicht entgehen, einen Finger in ihr Allerverschwiegenstes einzutauchen. Er hatte während seiner Studienzeit einmal interessehalber einer Vorlesung eines damals weithin bekannten Völkerkundlers beigewohnt, der Erstaunliches über die Jagdbräuche der Wilden zu berichten wußte. Unter anderem hatte dieser Gelehrte,- selbstredend mit der gebotenen wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit und aller nötigen Diskretion,- berichtet, die Wilden würden vor dem Aufbruch zu den Jagdzügen ihre Hände in die Zeugungsorgane ihrer Frauen einführen, um so ein für sie günstiges Jagdglück zu beschwören. Bei der Wildheit seiner Leidenschaften hatte ihn ein derartiges Ritual vollkommen zu begeistern verstanden. Befriedigt registrierte er daß seine Verlobte den neumodischen Unfug des Tragens von Unterwäsche unter dem Rock nicht mitmachte. Die Aufmerksamkeit in dieser Weise auf diese heikle Körperregion zu lenken! Dies mußte ja zu einer widernatürlichen Aufreizung der Sinne führen! Statt unauffällig dem Geschlecht seinen Platz unter schicklichen Verhüllung der Oberbekleidung zuzuweisen! Diese Kostprobe ehelicher Freuden, die sein kecker Finger gerade genoß, bescherte ihm eine Stimmung der aufgeräumtesten Vorfreude. Sein kleiner Jagdkamerad würde ihm auf jeden Fall nicht den Dienst versagen. Er löste den Gurt seiner Verlobten. Solange sie sich nicht bewegte würde sie kaum entschweben. Umständlich nestelte er seine Uniformhose auf die Kniekehlen. Wegen der herbstlichen Witterung trug er schon seine guten wollenen Unterhosen. Mit einer Hand, sorgsam seine Position wahrend, löste er den quadratischen, mit sechs Knöpfen verschlossenen Latz auf der Vorderseite. Kaum abgeklappt witterte sein Gemächt Morgenluft. "Nur ein kleiner Schritt für mich,- ein großer Schritt für das Reich!" zischelte er vor sich hin. Er schlang die bloßen Schenkel der regungslosen jungen Dame um sich. Mit sicherem Instinkt fand sein Jagdkamerad seine Atzung. Die Pforte des gegnerischen Liebestempels wurde im Sturm genommen. Der Widerstand war keiner der hinhaltenden Sorte. "Wollt ihr Mann und Frau werden- so antwortet mit ‚ja!'" Der Ordnung halber sprach der die Formel des heiligen Ehebunds und hielt so die Form für gewahrt, justament als die Zeugungsglieder zu ihrer endgültigen innigen Vereinigung fanden. Offenbar durch die rhythmischen Bewegungen in das Leben zurückgerufen schlug seine Verlobte die Augen auf. Es dauerte einen Moment, bis sie die Situation vollständig realiserte. "Wa...wa...was...!" Er versiegelte mit einem keinen Widerspruch duldenden Kuß ihre Lippen.